Dienstag, 18. November 2008

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Zimmer Nummer 128

Check-in 24h stand auf einem grünen Schild an der Eingangstür. Ich trat ein und stand in einem langen, leeren Gang erhellt durch grelles Glühbirnenlicht - kein Fenster. 24 Stunden Check-in und 24 Stunden das gleiche Licht, dachte ich. Meine letzte Nacht in Skandinavien habe ich in einem Instant-Hotel verbracht, ein Hotel direkt am Flughafen, ein Nicht-Ort (Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. S. Fischer, Frankfurt 1994.), ein Transitraum. Ich habe niemandem gesagt, wo ich übernachte. Ich habe die Stadt schon am Abend verlassen, weil ich am nächsten Tag früh abfliegen musste. Ich hatte keine Lust mehr auf eine einsame Shopping-Tour und war schon am späteren Nachmittag aufgebrochen zum Flughafen. Niemand wusste, wo ich war. Ich wusste selber nicht mehr, wo ich war, ob ich überhaupt noch war, oder ob ich während dem Wechsel von einem Ort zum Nicht-Ort irgendwo hängen geblieben war. Ich bekam von einer schönen, unfreundlichen Dame am Ende des langen Gangs eine Karte mit der Nummer 128, meine Zimmernummer. "On the left side", sagte die Dame und zeigte in eine Richtung. Es gab keine weiteren Erklärungen, nur die Karte mit der Nummer und eine Richtungsangabe. Ich war froh, dass die Dame unfreundlich war, das liess mich darauf schliessen, dass sie keine Instant-Dame war, sondern ein menschliches Wesen und ich mich wahrscheinlich nicht irgendwo zwischen den Realitäten befinden konnte. Ich nahm die Karte und drehte mich zum Gehen um. Ein grauer Mann stand hinter mir. "One night? Number 129" sagte die Dame. 102, 104, 106...126, 128. Ich, die Nummer 128 schleppte meine Koffer zu meiner Tür und trat ein. Ein weiterer leerer Raum tat sich vor mir auf - eine nackte Röhre an der Deckenmitte, wieder kein Fenster. Ich drückte auf den Lichtschalter. Entblössendes, wütendes Licht schlug auf die nackten, fahlen Wände und prallte auf meiner Netzhaut auf. Ich zog das Bett aus der Wand. Ein Wandschrankbett, dachte ich. Einen Tisch konnte man auch aus der weissen Wand ziehen und es hatte einen Stuhl, aber kein Bild, keinen Spiegel, nur der Stuhl, weisse Wände und Wandschränke - wer hier wohl seine Kleider in den Schrank einräumt? Ich fühlte mich in diesem Raum wie ein Instantkaffeekorn in einer sonst leeren Neskaffee-Dose. Eine Türe führte in das Instant-Badezimmer, so gross wie ein halbes Zugabteil, wie ein Lift. Ein Duschschlauch, ein Klo, ein Lavabo. Am Lavabo konnte man einstellen, ob das laue Wasser aus dem Hahn oder aus dem Duschkopf fliessen sollte. Duschen musste man gezwungenermassen sitzend auf dem Klo, eingeklemmt zwischen Klodeckel und Lavabo. Instant-duschen nennt man das wahrscheinlich oder einfach Multitasking: scheissen und duschen gleichzeitig. Das habe ich vorher noch nie gemacht. Der Nicht-Ort hatte auch einen Vorhof, einen Rasen mit einer Holzbank und Sicht auf die Autobahn, auf deren anderen Seite eine backsteinrote Ruine zu erahnen war. Ich habe mir einen lauen Instant-Kaffee mit Milch - Instant-Kaffe kann ich nur mit Milch trinken - und Zucker aus dem Automaten neben der unfreundlichen Dame am Ende des Gangs geholt, und da sass ich nun und fragte mich, wer schon sonst alles auf dieser Bank gesessen hatte. Wer war schon hier im Nirgenwo? Vielleicht war ja noch gar nie jemand anderes da, als die Leute, die in dem Moment da waren, weil ich nie irgendwo anders jemals existiert habe, als hier. Vielleicht sass ich schon immer auf dieser Bank, an diesem Nicht-Ort, in der Hand den weissen Plastikbecher mit dem lauen Kaffee und in mir Erinnerungen, die mich glauben lassen, dass ich an einem Ort ein Leben habe. Kneifen tat zwar weh, aber es nützte nichts. Ich sass danach immer noch am selben Nicht-Ort und wusste nicht, ob ich wirklich war. Ich hätte jemanden anrufen können, fragen, ob ich ein wirkliches Leben habe. Das tat ich aber nicht. Ich fühlte mich irgendwie gut als Instant-Kaffeekorn alleine in der leeren Dose. Wenn es ein ein Nichts gibt, dann muss es da so aussehen wie hier am Nicht-Ort, dachte ich, schlürfte den Kaffee aus und ging zurück in das Zimmer Nummer 128.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten