Mittwoch, 16. Dezember 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Die Uhr als Bild oder
i wett en Uhr erfinde
(abgeändertes Zitat: Mani Matter, I ha en Uhr erfunde)

Ich mag sie. Eigentlich mag ich sie. Sie sind schön. Meine Uhren sind schön - alle. Sie ticktacken die Zeit weg. Sie sind schön, aber sie ticktacken die Zeit weg. Manche ticktacken die Zeit laut weg, andere leise. Meine ticktacken alle leise, mittlerweile ticktacken alle meine Uhren nur noch leise. Ich mag schon lange keine Uhren mehr, die laut sind. In der Nacht stehlen sie den Schlaf oder verwandeln das Einschlafen ins Zählen vom Ticktack, ticktack, ticktack... und am Tag wollen laute Uhren mehr Aufmerksamkeit, als ihnen gebührt, als ich ihnen gebühren gewillt bin. Ich habe mir eine neue Uhr gekauft - eine Uhr für's Badezimmer. Da hatte ich noch keine oder keine mehr. Sie ist silbern, matt silbern. Sie hat drei schwarze Zeiger, einen kleinen, dicken, einen grösseren, dünneren und einen ganz grossen, ganz dünnen, ganz schnellen, und sie hat auf dem weiss vergilbten Ziffernplatz kleine, schwarze Striche, jeder fünfte ist etwas länger als die vier vorhergehenden. Ich mochte sie, weil sie schön ist. Ich habe sie gekauft, weil sie schön ist. Ich habe sie gekauft, weil sie tonlos die Zeit weg ticktackt, und weil ich am Morgen im Bad, während ich die Lachfalten verschwinden lassen versuche, sehen muss, wie schnell die Uhr heute ticktackt, damit ich die Züge nicht verpasse. Sie ist schön, aber sie ticktackt jeden Morgen zu schnell. Ich mochte sie, die Uhr, als ich sie im Laden gesehen habe. Ich mochte sie nicht mehr, wenn ich sie am Morgen ticktacken gesehen habe, und jetzt mag ich sie nicht einmal mehr am Sonntag. So geht es mit allen Uhren. Sie werden mit jedem Ticktack, sie werden mit der Zeit hässlicher. Sie werden hässlich. Ich kann ihre oberflächliche Schönheit nicht mehr sehen. Ich sehe nur noch ihr Ticktacken - und möchte eine neue Uhr, eine Uhr, die mich noch nicht ans Zeitverstreichen erinnert, eine, die mir nur ihr Schönsein zeigt. Ich möchte eine Uhr, die nicht ticktackt, ein Uhr, die still steht. Ich möchte eine Uhr, die rückwärts läuft oder einfach keine Zeit anzeigt - eine Uhr als Bild, ohne Zeit und ohne Ticktack, und ich möchte Züge verpassen. Ich glaube, ich möchte Züge verpassen.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Dienstag, 3. November 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Erwachsen werd ich morgen
das Bild



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Montag, 2. November 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Pro und contra Tupperware

Ich mag Kaffee, starken und süssen Kaffee, und ich mag rote Kaffeemaschinen. Ich mag die weissen Haare meiner Grossmutter. Ich mag Tortelloni mit Birnenfüllung und Gorgonzolasauce. Ich mag mein Foto mit der toten Taube und rote Regenschirme. Ich mag keine Crocs, besonders orange Crocs mag ich nicht und Phiten-Ketten, die derzeit alle um ihren Nacken tragen, mag ich auch nicht. Windsurfen find' ich doof, Rollerblades und Fleisch auch, und ich hasse Tupperware. Bei den Tuppeware mag ich besonders ihr Verhalten nicht. Während Socken in der Waschmaschine verschwinden und selten wieder auftauchen - manchmal verstecken sie sich einige Tage oder Wochen in der roten Bettwäsche, bis ich die übriggebliebene Socke wegschmeisse, dann taucht die andere zerknittert, aber hämisch lachend in der roten Bettwäsche auf -, vermehren sich Tupperware auf unerklärliche Weise. Wahrscheinlich paaren sie sich wie Hasen in den Küchenschränken und gebären dann Deckel, nur Deckel, violette Deckel und hässlich blaue Deckel. Sie stapeln sich in den Schränken und stehlen den schönen Töpfen, Schalen und den weissen Porzellantellern den ohnehin raren Platz. Oder sie zeugen nur den unteren Teil, den Behälter ohne Deckel. Die brauchen noch mehr Platz als die violetten und hässlich blauen Deckel. In meinem Küchenschrank gab es bis vor kurzen ein Abteil nur für Tupperware, etwa zwanzig Tupperware in allen Grössen und Formen, sicher zehn herrenlose Deckel und zusätzlich fünf Unterteile ohne passenden Deckel. Niemand konnte mir erklären, woher diese Tupperware-Teile kamen. Ich habe sie aus meiner Küche verbannt - fast alle. Geblieben sind drei, drei verschiedene Grössen - ein grosses Stück für die ungegessenen Nudeln, ein kleineres für die überflüssige Sauce und ein ganz kleines für das ungeniessbare Fleisch, das der Besuch stehen gelassen hat. Drei Tage verbringen die drei Tupperware mit passendem Deckel gemeinsam im Kühlschrank. Dann schmeisse ich das Essen weg, verfrachte die Plastikstücke in die Abwaschmaschine, um sie dann wieder in den Schrank zu stellen, wo sie hässlich aussehen, Platz rauben und sich weiter vermehren, bis ich wieder zu viel oder schlecht koche. Sinnvoll, sehr sinnvoll diese Tupperware! Aber alle Leute haben Tupperware. Besonders Männer scheinen Tupperware zu mögen oder gar leidenschaftlich zu sammeln. Sie stapeln sich in ihren Schränken und fallen heraus, wenn man eine Schranktür zu abrupt öffnet. Ich war noch nie auf einer Tupperware Party. Ich weiss auch nicht, ob es das noch gibt, oder ob man mittlerweile Tupperware Parties nur noch online veranstaltet - Facebook Tupperware Parties oder so... Ich glaube aber, dass es da viele Männer haben muss, auf diesen Veranstaltungen. Wenn ich wieder einmal single sein sollte, werde ich eine solche Party aufsuchen, werde aber anstelle der hässlichen Plastikbehälter, den dazugehörigen Mann mitnehmen. Die Tupperware in seinem Schrank werde ich dann wohl oder übel vorübergehend dulden müssen. Aber wenn er einmal nicht aufpassen wird, werde ich sie alle verbannen, brutal vernichten. Vielleicht wird er mich dann verlassen deswegen, aber jetzt weiss ich ja, wo ich wieder einem neuen finde. Gar nicht so sinnlos diese Tupperware!


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Montag, 12. Oktober 2009

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Some never fly again



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Montag, 5. Oktober 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Erwachsen werde ich morgen

Mit 27, das wusste ich, mit 27 wird man erwachsen. Mit 27 hat man einen Mann. Vielleicht hat man auch Kinder. Katzen hat man ganz bestimmt, ein Haus mit Garten und eine Kaffeemaschine - eine rote Kaffeemaschine, cola-rot. Das wusste ich schon lange. Wenn man erwachsen ist, weint man nicht mehr. Man ist nicht mehr traurig, weil man vernünftig ist. Gefühle hat man nicht mehr - nur noch ein bisschen, ein bisschen schon...
Das klingt jetzt vielleicht etwas bünzlig. Ist es aber nicht, ganz und gar nicht. Ich würde ja nicht in den Turnverein gehen und auf Lob für meine selbstgebackenen Kuchen warten. Mein Mann würde nicht Fussball spielen, jassen und Bier trinken. Ich würde arbeiten. Mein Mann würde Hausmann sein und das Bier würde ich trinken. Also von bünzlig kann keine Rede sein! Ausserdem würden über dem Sofa keine Bilder hängen - extra nicht und vor allem keine Klee-, Picasso- oder gar Van Gogh-Imitate. Das wusste ich schon lange. Aber bis 27 würde sowieso noch eine Ewigkeit vergehen, eine unvorstellbar lange Ewigkeit - 20 Jahre, 15 Jahre, 8 Jahre, 2 Jahre... Dann wurde ich verlassen, mit 27, genau mit 27. Kein Mann, somit kein Hausmann, keine Katzen und ausserdem keine rote Kaffeemaschine, keine cola-rote Kaffeemaschine, und ich habe geweint.
Na gut, dachte ich dann, erwachsen werden kann ich auch später, und es ging mir gut. Ich arbeitete, trank starken Kaffee aus einer silbernen Espressokanne, ab und zu ein Bier (auch mal eines zu viel), spielte Fussball und vergass, dass ich einmal vorgehabt hatte erwachsen zu werden.
Dann hatte ich wieder Geburtstag. Ich wurde 29. Das war vor 4 Tagen, übrigens (Ach, macht nichts, dass du nicht daran gedacht hast! Du bist ja nicht auf Facebook.) Ich hatte also Geburtstag und packte ahnungslos ein Geschenk aus - eine rote Kaffeemaschine von meiner Schwester. Sie ist wunderschön, wunderschön cola-rot. Sie passt ausgezeichnet in meine Küche, und der Kaffee schmeckt gut. Ich liebe meine neue Kaffeemaschine. Ich liebe sie! Trotzdem... Seither bin ich in einem Dilemma. Muss ich jetzt erwachsen werden, weil ich eine Kaffeemaschine besitze, eine rote Kaffeemaschine, eine rote Wenn-ich-einmal-erwachsen-bin-Kaffeemaschine? Oder bin ich jetzt schon erwachsen, weil ich eine Wenn-ich-einmal-erwachsen-bin-Kaffeemaschine in der Küche stehen habe?
Ach nein, ich glaube, erwachsen werde ich morgen. Fast habe ich vergessen, dass der Hausmann fehlt. Mittlerweile nicht mehr, weil es am Mann mangeln würde, aber ich habe immer noch kein Haus, und weinen tue ich auch noch, manchmal...


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Mittwoch, 9. September 2009

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Ein Elefant



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Donnerstag, 13. August 2009

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Allerliebstes Feindbild, Schall und Rauch

Mein allerliebstes Feindbild ist schon lange im Keller - vergraben unter Vergessenem, zwischen unnützen Erinnerungsstücken. Ich habe es nie absichtlich in diese Kiste verpackt, nie absichtlich in den Keller getragen. Es muss irgendwie zwischen die Poesiealben und die Briefmarkensammlung gekommen sein, als ich das letztemal umgezogen bin. Ich kann mich schlecht von Dingen trennen. Ich bewahre vieles auf, was einen sinnlosen Erinnerungswert zu haben scheint. Ich verpacke alles sorgfältig in Kartonschachteln und vergesse sie dann anzuschreiben. So landen Kleidungsstücke neben Tagebüchern und unnützen Zahlen im Keller - aufgeräumt, unangeschrieben, unvergessen. Irgendwo dazwischen ist es gestrandet, mein Feindbild, mein allerliebstes Feindbild. Heute habe ich es wieder gefunden und ich
(...) gibe mir e Blössi,
hole mis auerliebschte Findbild
nomau us em Chäuer,
putzes bis es wieder so glänzt wie denn
und nagle mir das schöne Stück
vor a mini
Stirne
(Zitat aus Compañero, Patent Ochsner)
Wie konnte ich es vergessen? Wie konnte es so klanglos aus meinem Leben verschwinden? Es war das, was uns angetrieben hat, was uns dazu bewogen hat, die Welt verändern zu wollen, in unseren Diskussionen, zwischen Rauch, Wein und Klängen. So einfach erschien die Welt... So einfach. Die Diskussionen sind irgendwann zu harmlosen Gesprächen geworden oder im besten Fall in Streit ausgeartet. Von der Musik ist bloss ein Echo übrig geblieben, und am Ende blieb nur noch der Wein - Schall und Rauch... Und du... Und du? Hast du unser Feindbild auch im Keller? Oder hast du es schon lange weggeworfen? Bist du überhaupt noch?
(...) hey, compañero sentimental!
i wär nid won i hüt bi
we du denn nid drbi wärsch gsi
compañero sentimental!
schad geit aus so schnäu verbi (...)

Genau so klanglos wie mein Feindbild bist du verschwunden. Wahrscheinlich bist du auch irgendwo im Keller in einer Kiste gelandet, als ich das letztemal umgezogen bin, gut verpackt, unangeschrieben - unvergessen. Falls nicht, falls du nicht in einer verstaubten Kiste gelandet bist, und falls du es irgendwo am Horizont glänzen siehst: Es ist das Feindbild, das noch einmal so glänzt wie damals. Und wenn du den Glanz erlöschen siehst, irgendwo am Horizont: Es ist das Feindbild. Ich packe es wieder in eine Kiste und räume es in den Keller - unangeschrieben, unvergessen. Ich ziehe wieder um.


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Montag, 3. August 2009

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Arsch und Engel



Ich sitze auf dem Klo, ein öffentliches Klo. Ich gehe nicht gerne auf öffentliche Klos. Es stinkt. Aber ich musste so dringend pinkeln. Ich versuche nicht mehr zu atmen, oder nur stossweise durch den Mund. Aber nur durch die blosse Vorstellung des Geruchs wird mir übel. Es ist düster. Trotzdem kann ich die mit Filzstift geschriebenen Sprüche und Namen an der schmutzig grauen Tür entziffern. Ich liebe dich! deine Petra. Schlampe. Fick dich. Forever M+S und Telefonnummern, manche durchgestrichen. Sie liebt jemanden, die Petra, denke ich. Vielleicht ist sie auch die Schlampe. Aber sie liebt einen Er, vielleicht auch eine Sie. Bestimmt liebt sie aber nicht mich, auch wenn sie sich mit ihrem Dich an mich richtet - ich kenne keine Petra. Du bist eine bitch, lese ich und denke sie ist eine bitch - nicht ich. Ein drittes Ich ist eine Bitch, eben sie. Die Person, die in einer Damentoilette mit du angesprochen wird, muss eine Sie sein, und ausserdem sagt man Männern ohnehin selten bitch. Das ist so. Männer sind keine Schlampen. Sie sind Helden, sagt man. Das ist halt so. Folgedessen ist die Bitch eine Sie. Immer wenn ich also ich lese denke ich du, er, sie, aber nie ich, obwohl da eigentlich ich steht. Ich bin aber nur für mich ich - einzig und alleine für mich. Schreibe ich ich, liest du in meinem Ich ein Du, ein Sie und, je nach dem, ob du mein Ich kennst oder nicht, vielleicht sogar ein Er, aber niemals ein Ich. Ich sage ich liebe dich. Du hörst ich liebe dich, denkst aber du liebst mich, sie liebt mich - vielleicht auch ich dich nicht. Ich gibt es nur für mich. Als Du gibt es mich für viele. Ohnehin gibt es viele Du, auch Er gibt es viele und Sie auch - trotzdem gibt es dich so nur einmal, zumindest für mich. Manchmal bin ich ein Du, manchmal ein kleines sie, manchmal ein grosses Sie, je nach Höflichkeit, aber ich bin ich nur einmal. Du auch. Sie auch. Auch er ist nur einmal ich, aber er ist er, tausendmal - oder mehr. Du ist er auch tausendmal, manchmal auch Sie - ein grosses Höflichkeits-Sie. Das bin ich manchmal auch - höflich, meine ich. Manchmal auch nicht. Dann sage ich du bist ein Arsch. Das ist nicht höflich. Deshalb sage ich ja auch nicht Sie sind ein Arsch oder Sie sind ein Gesäss. Wer das hört, denkt vielleicht dann ich bin ein Arsch. Aber mit grösster Wahrscheinlichkeit denkt das angesprochene Du, sie ist selber ein Arsch - obwohl Arsch männlich ist, kann ich ein Arsch sein. Ich kann ja auch ein Engel sein, und Engel ist auch männlich. Aber ob Arsch oder Engel, ich bin trotzdem immer ich - für dich aber immer du oder sie, manchmal Arsch, manchmal Engel. Ich spüle und atme dann draussen wieder frische Luft ein. Vor der Tür steht er, also du - für dich bist du ich, für mich du, immer du.


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Montag, 27. Juli 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Golden, tatsächlich
für Chläus-Grossvati, das Bild 2


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Dienstag, 7. Juli 2009

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Das Bild hängt schief

Auf dem blau-weissen Lampenschirm liegt grauer Staub. Das Geschirr stapelt sich im Spülstein. Staubklüngel schweben, beim Vorübergehen in die gegenüberliegende Ecke. Ein modriger Geruch zieht sich durch die düsteren Gänge. Das Bild hängt schief. Stimmt nicht. Stimmt alles nicht. Aber es klingt irgendwie besser als, wenn alles sauber und schön ist. Wenn alles sauber und aufgeräumt ist, kann man sich nicht ärgern, aber man kann auch nichts erzählen. Natürlich könnte man, aber es klingt langweilig. Es klingt zu wenig mystisch, zu wenig dramatisch, zu wenig depressiv. Depressive Sätze klingen anziehender, klingen lesenswerter, findet sie. Das Bild hängt schief. Das Bild, das hängt wirklich schief, aber es hängt extra schief. Es hängt schief, weil es ein schöner Satz ist. Das Bild hängt schief. Genau mit diesen Worten fängt das Buch an, welches sie gerade liest. Das Bild hängt schief, las sie vor zwei Tagen und musste lächeln. Sie las den Satz noch zweimal, liess die Worte regelrecht auf der Zunge schmelzen, wie schwarze, leicht süsse Bitterschokolade und stand dann auf. Bevor sie den nächsten Satz lesen konnte, stand sie auf und hängte ihr eigenes Bild an der Wand hinter dem mausgrauen Sofa schief. Eigentlich hasst sie es, wenn Bilder schief hängen. Aber um des wunderschönen Satzes Willen hat sie ihr Sofabild schräg gehängt. Sie musste nur ein bisschen an einer Ecke ziehen und schon hing das Bild, wie es nicht hängen sollte. So ist das Leben interessanter, findet sie. Schon am Morgen: Man steht auf, wenn das Licht durch die Vorhänge, die purpurroten Vorhänge, in das saubere Zimmer scheint. Alles aufgeräumt, alles sauber, aber das Bild hängt schief. Ein Schreckmoment! Aber ein schöner Schreckmoment. Das rüttelt sie auf, in dieser sauberen Stadtwohnung. Das Bild hängt schief - und die Scheiben sind ein bisschen schmutzig, noch etwas gelblich verspritzt vom Frühlingsblütenstaub - und das Bild... Sie könnte es gerade rücken. Sie bräuchte nur fünf Schritte bis zum mausgrauen Sofa, dann eine Bewegung, und das Bild würde wieder gerade hängen. Sie könnte sogar zuerst noch die Wasserwaage aus dem Putzschrank holen. Der liegt sowieso auf dem Weg vom Bett zum Sofa. Dann würde das Bild mit grösster Wahrscheinlichkeit wieder im Lot sein. Das Bild hängt gerade, könnte sie dann denken, einmal denken, weil zweimal denkt man das nicht das Bild hängt wieder gerade - nie. Und zudem wäre dieser Satz verloren, mit dem sie so gerne lebt. Das Bild hängt schief. Ein einziger Satz, vier Worte können ein Leben so viel spannender machen, findet sie. Vier Worte können einem Menschen so viel Freude schenken. Worte. Wundervoll. Was genau diese vier Worte aneinander gehängt so schön machen, weiss sie nicht genau. Ich auch nicht. Vielleicht ist es die Tatsache, dass man sich so oft über schräg gehängte Bilder ärgert. Das tut man doch? Vielleicht ist es auch, weil ein Buch nicht mit einer solchen Nebensächlichkeit anzufangen hat. Das lernte man noch in der Schule, damals. Heute ist aber vieles anders, schon heute ist vieles anders. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass schief an sich schon ein unübertreffbares Wort ist. Oder liegt es am Wort Bild? Jedenfalls hört man den Satz, oder man liest ihn, und sogleich sieht man vor seinem inneren Auge ein schiefes Bild an einer Wand hängen, an einer vergilbten Wand ein farbiges Gemälde. Es wird ein Bild durch einen einzigen Satz - in diesem Falle gleich durch den ersten Satz des Buches - erzeugt, und gleichzeitig ist es ein Bild von einem Bild, einem schiefen Bild. Eine Bild-in-Bild-Vorstellung. Wundervoll. Es gibt noch andere solche Sätze, andere so wunderschöne Sätze, mit denen man ein Buch beginnen könnte, also eigentlich eben kein Buch beginnen sollte, keine Aufsätze beginnen sollte. So war es doch in der Schule. Mit den schönen Sätzen fängt man nicht an. Die sind nebensächlich - aber schön, nebensächlich schön. (Also eigentlich, finde ich, ist schön immer nebensächlich und nebensächlich eben oft schön - so nebenbei.) Aber allem voran bin ich irgendwie froh, dass ihr Buch mit dem schiefen Bild angefangen hat. Man stelle sich vor, das Buch - übrigens ein Krimi - hätte mit dem ebenfalls wunderschönen Satz das Wasser plätschert auf den leblosen Körper angefangen. Uiuiui...

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Dienstag, 30. Juni 2009

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Hä?
2007 - 2009

Endlich bin ich angekommen. Wieder daheim. Hier gehöre ich hin. Die Berge so nah, der See so klar, die Fluchwörter so selbstverständlich. Furzen erlaubt, rülpsen sowieso - keine Frage. Endlich! Wieder sein, einfach sein. Er lebt hier, meine Freunde sind hier, meine Familie, der See so klar, die Berge so nah. Ankommen tut gut - und dann... dann ist man da. Dann will man wieder weg, endlich weg. Er ist auch wieder weg. Die Berge sind so nah, der See so kalt. Zurücklassen, um zu vermissen. Ich gehe wieder, lasse zurück, was ich liebe, zerstückle mein Sein wieder in kleine Teile. All die kleinen Fetzen, die ich einmal war, verteile ich in der Welt, um mich wieder zu sehnen, nach dem, was ich so hasse und so liebe. Nach den Bergen sehnen, dem See, einem Zuhause, einem Ort - so nah, so klar, so verdorben, so falsch und ach, so schön...
So gehe ich, so komme ich wieder, so gehe ich, komme ich, gehe, komme, zerstückle, setze zusammen, was zusammen gehört, zusammen zu gehören scheint, um dann wider zu teilen, abermals zu teilen.
So klein ist das Sein. Zumindest mein Sein ist klein. In kleinen Stücken wieder Bern, Olten, Basel, Zürich, Thun. Es ist nicht viel, aber es ist nicht mehr ein Da - nicht mehr ein Da-gehöre-ich-hin. Es ist ein Wo-gehöre-ich-hin, um endlich wieder zu vermissen, den See so klar, die Berge so nah. Es ist ein Mir-laufen-Tränen-über-die-Wangen-wenn-ich-meine-weissen-Berge-sehe. Es ist wieder ein So-klar-ist-nur-der-Thunersee und kein Schon-wieder-dieser-blöde-Gigu-den-mag-ich-nicht-mehr-sehen mehr. Es ist ein Endlich-wieder-laut-furzen-und-niemand-schaut-mich-erstaunt-an-du-bist-doch-eine-Dame-aha-nicht-? Es ist alles vermissen, was ich manchmal so überdrüssig bin, ein Gehen-um-wieder-ankommen-zu-wollen. Aber wenn ich einmal wieder ankommen sollte, dann werde ich bleiben, ganz bestimmt - ganz bestimmt...

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Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Eigentlich einfach nur: merci

An den Moment unserer ersten Begegnung kann ich mich fast nicht mehr erinnern. Da sind keine Bilder mehr in meinem Kopf, nur ein Gefühl. Ja, an ein Gefühl glaube ich mich zu erinnern. Etwas fremd warst du mir. Das weiss ich noch. Du hattest die Augen zu, oft hattest du deine Augen einfach geschlossen. Hast du noch ein Bild von mir in deinem Kopf? An die Momente danach, die Momente mit dir, kann ich mich aber erinnern, gut erinnern. Die kann man nicht vergessen, glaube ich - viele schöne Momente, auch traurige, natürlich. Alles halt, einfach alles. Dein Lachen war unverwechselbar, und das ist es noch heute - unverwechselbar. Ich habe dich gerne lachen gehört, immer. Und du hast viel gelacht, glaube ich, ja.
Um all unsere gemeinsamen Momente aufzuschreiben, würde kein Buch reichen, und irgendwann würden mir die Worte ausgehen oder die Worte gänzlich fehlen. Worte braucht es aber eigentlich nicht viele, um unsere gemeinsamen Erinnerungen zu beschreiben, um Gefühle hervorzurufen - du kennst sie ja alle auch, unsere Erlebnisse, die wir in unserer kleinen, in unserer eigenen kleinen Ewigkeit erlebt haben. Stichworte würden reichen, um dich zum lachen zu bringen, dich zum weinen zu bringen, weil du es weisst, weil du sie kennst, die Worte, und sie verbindest, genau wie ich. Schnüfi, Blochi, Tilli, der Kessel in Ascona, ds Lied, der Max im Keller, T'Pea und (...) nimm Späckwürfeli, Säuschmutz (...) ...
Dich zu missen, wäre unvorstellbar. Dass es dich gibt, ist unbeschreiblich - unbeschreiblich gut. Das wollte ich dir schon lange sagen - gerade heute wollte ich dir das unbedingt sagen, dass du wichtig bist, so unersetzlich wichtig in meiner kleinen Ewigkeit. Und besonders heute wollte ich dir sagen, dass ich dir wünsche, dass ich mir wünsche, dass du glücklich bist, dass wir noch einmal 25 und vielleicht sogar noch einmal 25 Jahre zusammen erleben werden. Wie lange auch unsere Ewigkeit dauern wird, ich werde da sein - ich werde dich immer lieben, so lange ich sein werde.
Und was ich auch noch sagen wollte, gerade heute sagen wollte: Merci. Merci, dass du bist, dass du da bist, merci, dass du zu mir haltest, merci, dass du so schön lachen kannst, merci, für all diese Jahre Erinnerung. Es ist eigentlich einfach nur: merci.

für Christine, meine Schwester

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Freitag, 19. Juni 2009

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Untitled



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Mittwoch, 17. Juni 2009

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Chli bös, chli grusig u so...
-
keine wahre Geschichte

Alles beim Alten. Alles wie gewohnt. Alles, wie es sein soll. Ein paar Jugendliche schlagen sich - heute ausnahmsweise mit Flaschen. Das Blut spritzt, Flüche, Schreie und noch ein bisschen mehr Blut. Alles wie gewohnt. Der Geschichtensammler lächelt in seiner Ecke vor sich hin. Viel Bier fliesst - Bier, Vodka, Tequila. Laute Musik, der Rauch qualmt durch das schummrige Lokal. Alles beim Alten - noch, noch ist alles wie gewohnt.
Hei, sälü, chasch guet?
(nei, nid scho wider ...) ?
Chaaaasch guuuueeeeet?
Aha! (Ich furze) Ja klar. Geng wi geng. Du o?
Jaja, mir geits super! Chli Stress ufem Bügu u so, aber süsch easy. Summer, gäu, isch doch geil. We d Sunne wider schiint u... bla... bla... He, u du, bisch geng no am fötele?
(Blöde Frage denke ich und sage während einem langen, lauten Furz) ja. (isch drum gloub mi Job, hani gmeint...)
Was fötelisch de so?
(i hasses, we öper fötele seit! denke ich und unterstreiche meine Aussage mit dem dritten Furz - kurz und bündig): eigentlech alles, wo me cha fotografiere. (Fürze nicht, aber alles andere eigentlich schon) Du, i muess mau öpis trinke ga hole. Het mi gfröit (uuuu ja u de wie!) Bis speter mau.
Alles beim Alten. Alles wie gewohnt, wie es sein soll. Die laute Musik, der Rauch. Durch die Musik hört keiner die ausgedehnten Fürze und auch keiner die kurzen bündigen. Durch den Rauch riecht sie auch niemand, die Zwiebelfürze, die Fleischfürze, auch nicht die Bierfürze, nicht einmal die Knoblauchfürze. Eigentlich ganz angenehm, finde ich. Alles beim Alten - noch, noch ist alles gut. Rauchfrei... Rauchfrei aber laut werden die Clubs sein - laut und erfrischend, ganz bestimmt! Bald werden wir sie riechen, die Frische. Ich persönlich mag abgestandenen Rauch lieber, als Fürze - geschweige denn das Gemisch aus verschieden Fürzen. Aber furzen werde ich trotzdem, keine Frage. Ganz genüsslich werde ich es tun, und ihr werdet leiden, meine Lieben. Ihr werdet leiden!

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Dienstag, 9. Juni 2009

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Golden, tatsächlich
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Samstag, 6. Juni 2009

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Ein Buch, ahornbraun im Frühherbst

Es ist so schön. Es ist braun. Es ist in braunes Leder eingefasst. Ein schönes Braun, dezent, wie Ahornblätter im Herbst, im Frühherbst. Am Rücken hat es goldene Streifen, fünf goldene, horizontal verlaufende Linien - feine Linien. Es ist ihr sofort aufgefallen, zwischen all den anderen Bücher mit aufdringlichen Schriften und glänzenden Umschlägen. Sie hat nach dem braunen Buch, dem frühherbstlichen Ahornblätter-Buch gegriffen. Es ist auch nicht so dick. Dicke Bücher erschlagen einen, findet sie, erdrücken einen, bedrohen - zu viele Worte, zu viele Sätze. Sie hat es auf der ersten Seite aufgeschlagen und las den ersten Satz. Dann hat sie Seite 73 aufgeschlagen, etwa die Mitte des Buches. Sie hat gelesen, einen Satz, vielleicht zwei. Und dann noch die letzte Seite, den letzten Satz. Sie findet, wenn diese drei Sätze stimmen, wenn diese drei Sätze überzeugen, ist das Buch gut. Der Titel ist nicht so wichtig - der Titel nicht, der Schriftsteller nicht, aber der erste Satz muss überzeugen, muss beeindrucken. Er muss überraschen. Er muss auffordern. Sie mag kurze Sätze, viele kurze Sätze nacheinander, und dann ein langer Satz, vielleicht zwei lange Sätze, dann wieder kurze, viele kurze. Viele Punkte. Manchmal Kommas, aber keine Ausrufezeichen. Ausrufezeichen mag sie nicht! Die unterstreichen unwichtige Aussagen. Wichtige Aussagen überzeugen auch ohne Ausrufezeichen, findet sie. Fragezeichen hingegen mag sie gerne - besonders am Ende einer Seite. Das sieht schön aus, nicht? Aber von allen Zeichen mag sie am liebsten den Gedankenstrich. Der lässt Zeit. Er setzt eine Pause. Er unterbricht. Er ist schön - sehr schön. Und kursive Schrift, ab und zu kursive Schrift. Das braune Lederbuch hat alles, wonach sie sich sehnt. Es ist schön. Es ist nicht zu dick. Es hat einen eindrucksvollen Anfangssatz und einen überszeugenden letzten Satz. Dazwischen gibt es viele kurze Sätze, unterbrochen von langen, und es gibt schöne Wiederholungen. Es hat kaum Ausrufezeichen, einige Fragezeichen - an den richtigen Stellen gesetzt - und Punkte, viele Punkte. Viele Punkte. Sie hat das Buch gekauft. Sie hat es in ihr Bücherregal gestellt. In das Bücherregal, in das nur die schönen Bücher kommen, das Bücherregal im Wohnzimmer - das sehen alle Gäste. Da stehen nur die schönen Bücher und die mit den wichtigen Titel (zum Beispiel Klassiker, Faust, Don Quijote, einige Lexika und Wörterbücher). Bücherregale, findet sie, sagen viel über einen Menschen aus. Sie können aber auch lügen. Lügen können sie gut! (Dieser Satz braucht ein Ausrufezeichen, sonst überzeugt er nicht, findet sie...) Das Buch steht also dort im Bücherregal im Wohnzimmer. Es sieht schön aus, das Buch mit dem überzeugenden Anfang, dem wunderbaren Endsatz, den vielen Punkten, den wenigen Ausrufezeichen und dem klaren Satz auf Seite 73. Sie holt es oft hervor, oft wenn sie alleine im Wohnzimmer sitzt und nach Gedanken sucht. Es fühlt sich weich an, das braune Leder mit den fünf goldenen Linien auf dem Rücken. Es fühlt sich gut an in ihren Händen - dünn, weich. Den Titel hat sie sich immer noch nicht gemerkt. Er steht nicht auf dem Rücken, wie bei all den anderen Büchern. Das mag sie besonders am Buch. Es ist so unaufdringlich schön. Sie holt es aus dem Regal. Sie schaut es an, fühlt es, schlägt die erste Seite auf, dann die letzte, manchmal Seite 73. Dann schliesst sie es wieder, fühlt es noch einmal und stellt es zurück zu den anderen schönen und schlauen Bücher im Wohnzimmerbücherregal. Sie hat es nicht gelesen. Sie spart es auf. Es soll das letzte Buch sein - das letzte, das sie lesen wird, das allerletzte, das beste, das schönste, das wichtigste. Das braune Lederbuch - braun wie Ahornblätter im Herbst, wie Ahornblätter im Frühherbst.

* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Freitag, 29. Mai 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ganz und gar nicht egal

Am Abend bin ich zum Bahnhof spaziert. Ich war noch etwas früh, etwas zu früh. Ich habe eine Cola getrunken am Bahnhof, weil ich eben noch etwas früh war. Oder war es ein Bier? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern... Aber es ist eigentlich ganz egal, was es war. Ich sass also da und trank etwas, ein Bier oder eine Cola, wahrscheinlich. Irgendwann ist der Zug eingefahren. Ich bin aufgestanden. Bezahlt habe ich zuerst noch, dann bin ich aufgestanden. Es war heiss. Die Sonne schien. Sie schien wieder! Nein, eigentlich schien sie gar nicht. Sie brannte viel mehr am Himmel, verbrannte meine Haut, und meine Gedanken brannte sie weg. Später sass ich an einem Tisch. Das weiss ich noch. Das Tischtuch muss einmal rot gewesen sein. Jetzt war es etwas verblichen, schon fast rosarot - von der Sonne, vielleicht auch vom Regen. Es hatte Holzstühle, so Holzstühle, die man zusammenklappen kann. Aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig. Das Essen war wirklich gut, glaube ich. Es war gut gewürzt, glaube ich. Es gab eine Vorspeise mit Balsamico und danach Spaghetti oder Tagliatelle oder sonst etwas. Und der Wein, er hat auch ganz gut geschmeckt. Ein italienischer Wein, irgend so ein Barolo, glaube ich. Der Espresso danach war stark - stark, süss und gut. Es lief Reggae im Hintergrund, irgend so ein Lied von Bob Marley. Vielleicht Jammin' oder No Woman no Cry. Vielleicht war es aber auch Jimmy Cliff, der sang. Ich habe nicht richtig hingehört. Aber eigentlich ist das alles gar nicht so wichtig. Eigentlich ist das alles sogar egal, ganz egal. Die Sonne hätte auch nicht scheinen brauchen. Es war mir ganz egal. Da man am Abend isst, habe ich versucht zu essen. Der Wein lief angenehm meinen Gaumen hinunter, aber die Teigwaren schienen irgendwo stecken zu bleiben. Eigentlich wollten sie gar nicht erst in meinen Mund geführt werden. Sie wollten auf dem Teller liegen bleiben. Sie wollten dort kalt werden. Oder vielleicht hätten sie auch gar nie bestellt werden wollen, gar nie gekocht werden wollen. Aber weil man am Abend etwas isst, habe ich sie bestellt. Der Koch hat sie gekocht, und ich habe sie dann dazu gezwungen in meinem Mund hin und her geschoben zu werden. Aber der Espresso, der war dann wieder gut - stark, süss und gut. Ich habe etwas erzählt. Eine Geschichte vielleicht oder vielleicht auch eine Lüge. Vielleicht habe ich auch nichts gesagt, gar nichts... Die Sonne hat meine Gedanken weg gebrannt. Und ich sass da, zuerst vor der Vorspeise, dann vor den Teigwaren, dann vor dem Espresso, dem Grappa, dann vor dem leeren Tisch, vor dem vollen Aschenbecher. Ich sass da und dachte nichts, vielleicht dachte ich auch etwas, vielleicht erzählte ich auch etwas - eine Geschichte oder vielleicht sogar eine Lüge. Aber eigentlich ist das alles ganz egal. Warum erzähle überhaupt eine Geschichte, die so ganz egal ist? Oder ist es eine Lüge? Jedenfalls bin ich irgendwann aufgestanden. Zuerst habe ich noch bezahlt - oder hast du bezahlt? Jemand hat zuerst bezahlt, bevor wir aufgestanden sind, glaube ich. Es war wahrscheinlich schon dunkel, als ich gegangen bin, aber kalt war es nicht. Da bin ich mir ganz sicher. Ich war dann irgendwann zu Hause. Jedenfalls bin ich am Morgen erwacht - und die Sonne schien. Sie schien wieder! Nein, eigentlich schien sie gar nicht. Sie brannte viel mehr vom Himmel. Aber warum erzähle ich überhaupt eine Geschichte, die so ganz egal ist? Die Geschichte ist nicht egal. Nur die Worte... Die Worte sind irgendwie egal. Egal. Hauptsache die Sonne scheint wieder. Obwohl... eigentlich ist das ja auch ganz egal. Aber dass du da warst, das war nicht egal, ganz und gar nicht egal.


für D.M.

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Dienstag, 19. Mai 2009

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Ungerobsi u hingerfürschi













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Montag, 18. Mai 2009

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Warten

Jeden Tag aufstehen. Jeden Tag Kaffee trinken – starken, schwarzen Espresso mit viel Zucker. Jeden Tag essen. Jeden Tag trinken – möglichst viel, am besten Wasser, drei Liter wäre gut, drei Liter Wasser, jeden Tag. Jeden Tag warten, auf den Zug, den Bus, den verpassten Bus, auf einen besseren Tag, einen schönen Tag, einen Tag mit viel Sonne, viel Freude. Am besten sind Wochenenden, Samstage mit viel Sonne, aber nicht zu heiss, wenn möglich nicht zu heisse Samstage, aber mit Sonne. Am Samstag weiss man, dass noch ein freier Tag folgt, wenn möglich ebenfalls mit Sonne, viel Sonne – aber nicht zu heiss. Auf den Sonntag wartet man nicht, weil Sonntage sind doof. Man weiss, dass am nächsten Tag wieder Montag ist. Das macht traurig. Das macht müde, manchmal auch wütend, manchmal lustlos. Montage sind immer doof, weil man aufstehen muss, früh aufstehen – fast immer. Ausser man hat frei am Montag, dann ist Sonntag, wie Samstag, wenn möglich mit viel Sonne, einfach wenn möglich mit Sonne, aber nicht zu heiss, etwas Schatten wäre gut und vielleicht noch ein Bier – natürlich erst am Abend. Ein kühles Bier an einem sonnigen Samstagabend, oder an einem sonnigen Sonntagabend, natürlich nur, wenn man am Montag dann frei hat, was selten ist – dann ist aber der Sonntag sowieso wie Samstag. Das ist gut. Am Montag wartet man auf Dienstag, oder schon aufs Wochenende, auf ein sonniges Wochenende, auf Samstag. Am Dienstag, am Mittwoch, am Donnerstag und auch noch am Freitag: Warten. Warten habe ich schon immer gehasst – immer! Ich verpasse manchmal den Zug, weil ich so knapp aus dem Haus gehe, damit ich nicht am Bahnhof warten muss. Wenn ich einen Anruf erwarte, schalte ich manchmal das Telfon aus, damit ich nicht auf das Klingeln warten muss. Aber eigentlich besteht das Leben aus warten – so oft: warten. Erwarten, abwarten, warten, warten... Man kann eine Zigarette rauchen, um das Warten in eine Handlung zu verwandeln. Man wartet trotzdem. Man kann Musik hören, ein Bier trinken, beobachten, denken. Man wartet trotzdem. Ich hasse warten – immer. Warten macht nervös. Und je nach dem, auf was man wartet, je nach Grösse der bevorstehenden Erwartung, mag man nicht einmal mehr essen, mag man nicht mehr... Besser aber man macht etwas, um nicht bewusst zu warten, nicht bewusst auf den Zug zu warten, nicht bewusst auf den verpassten Bus zu warten, nicht auf den Anruf zu warten, nicht auf das sonnige Wochenende zu warten (vielleicht regnet es ja am Wochenende, und verregnete Wochenenden sind nicht wartenswert). Am Morgen wartet man auf den Mittag, nach dem Mittag auf den Abend, im Winter auf den Frühling, den Sommer. Im Kindergarten wartet man auf die Schulzeit, in der Schule auf die Selbständigkeit. Man wartet auf eine neue Anstellung, eine gute Nachricht, manchmal kommt aber dann eine schlechte – oft sogar. Man wartet. Wartet. Und am Ende... Am Ende hat das Warten ein Ende. Der Tod. Aber auf den wartet man eigentlich nicht. Man wartet auf alles, was vorher ist. Man wartet, um zu warten, um zu warten, um zu warten, um zu warten, um zu warten (u.s.w) und um wieder zu warten. Aber am Ende... Ich habe warten schon immer gehasst – immer...


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Mittwoch, 13. Mai 2009

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Die gelben Schuhe,
an die Kindheit

Der blutrote Lippenstift passt gut zu schwarz. Er passt gut zu weiss und zu grau und zu anthrazit. Er passt nicht zu anderen Farben. Aber zu schwarz, weiss, grau und anthrazit passt er wunderbar, und sie trägt immer schwarz und manchmal weiss, manchmal grau oder anthrazit, und dazu trägt sie immer den blutroten Lippenstift - am Morgen etwas dezenter als am Nachmittag, aber dennoch nicht so stark wie am Abend. Das ist eine unausgesprochene Regel, die genau gleich funktioniert wie die Absatzschuhregel: Je später der Tag, desto höher die Absätze - am Morgen keine und am Abend darf man dann die Bleistiftabsatzschuhe aus dem Regal nehmen. Macht frau es nicht so, läuft sie Gefahr, billig zu wirken - wurde ihr einmal gesagt. Und an solche Regeln versucht sie sich zu halten - je älter sie wird, desto wichtiger erscheinen ihr diese ungeschriebenen Gesetze. Aber an diesem Tag trug sie sowieso sie keine Absatzschuhe, obwohl schon Nachmittag war, und sie trug auch den Lippenstift nicht. Sie trug gelbe Schuhe, und Blutrot passt nun einmal nicht zu Gelb, passt nicht zum Frühlingssonnengelb ihrer Schuhe. Die gelben Schuhe unter ihr trugen ihre Füsse, trugen sie über den grauen Teer, trugen sie weiter über kiesbedeckte Erdwege. Sie schaute immerzu die Schuhe an, wie sie sie trugen, wie sie Staub aufwirbelten, wie sie Steinchen anschubsten. Sie ging immer weiter, bis das Frühlingssonnengelb auf grünes Gras trat. Da blickte sie auf, erst da. Sie stand endlich auf der kleinen Wiese, bedeckt von gelben, weissen und violetten Punkten - gelb-weiss-violette Punktblumen. Mitten auf dem grün-gelb-weiss-violetten und ein bisschen braunen Gras breitete sie ihre Arme aus und drehete sich im Kreis - einmal, zweimal... An ihr zogen die Bäume vorbei, der Zaun, wieder die Bäume und dann und wann ein gelber Schuh, die Bäume, der Zaun
(...) und dann und wann ein weißer Elefant. (Zitat aus das Karussell, Jardin du Luxembourg, Rainer Maria Rilke)
Sie liess sich aus der Drehung heraus fallen, auf das weiche Gras (vielleicht fiel sie auch gezwungenermassen, weil ihr schwindlig wurde) und schloss die Augen. Die Erde drehte weiter ihre Kreise. Oder drehte sie weiter? Oder vielleicht das Karussell? Farben umkreisen sie
(...) und
dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet (...)
(Zitat aus das Karussell)
Sie blieb liegen, bis die Welt wieder still stand, bis der weisse Elefant still stand und verschwand. Sie blieb liegen und dachte an nichts, schaute nur dem Farbenspiel zu, bis auch die Farben wieder verschwanden und vor ihr nur noch schwarz war - schwarz, grau und ein bisschen anthrazit. Dann öffnete sie wieder die Augen, erst dann. Sie stand auf und senkte ihren Blick zu den gelben Schuhen. Sie breitete ihre Arme aus, mitten auf dem grün-gelb-weiss-violetten und ein bisschen braunen Gras und drehte sich im Kreis - dreimal, viermal...
(...) und dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel . . .
(Zitat aus das Karussell)
Und sie lässt sich wieder fallen, schliesst die Augen, immer wieder, immer wieder. Ist das Spiel beendet, beginnt es wieder von vorne. Als der Tag zu Ende geht, tragen sie die gelben Schuhe, die in der Dunkelheit antrazit-grau-schwarz wirken, zurück über den kiesbedeckten Erdweg, zurück über den Teer - zurück zum Blutrot. Es ist ja jetzt Abend, und am Abend trägt man Absatzschuhe, wenn möglich Bleistiftabsatzschuhe und stark aufgetragenen, blutroten Lippenstift. Das ist so...


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Dienstag, 5. Mai 2009

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Für alle Brunos

Es gibt Namen, die sind einfach. Sie sind einfach Namen, seit ich im Sandkasten gespielt habe. Man muss sie nicht hinterfragen, weil sie sind: Thomas, Christian, Andrea, Rahel, Stefan, Michael, Karin, Sara. Dann gibt es noch Namen für Erwachsene. Die muss man auch nicht hinterfragen. Das sind Namen für Erwachsene: Peter, Urs, Käthi, Werner, Vreni, und Namen für Alte sind einfach Namen für Alte: Hans, Fritz, Marie, Mina, Gertrud, Max. Manchmal gibt es auch Menschen, die heissen nicht so, wie sie heissen sollten. Sie heissen nicht, wie sie aussehen. Ein runder Kopf, zwei blaue Knopfaugen. Benedikt, stellt er sich vor. Benedikt? Er müsste Christian heissen mit seinen blauen Knopfaugen und dem runden Kopf, Christian. Eine Brille, braune Haare, verschmitzter Gesichtsausdruck. Das ist ein Stefan. Aber Stefan heisst Jürg... Jürg? Ein Jürg ist gross, hat blonde Haare und einen langen Hals, eigentlich... Dann gibt es noch Rolf (siehe auch: Für alle Rölfe, ein Beitrag auf diesem Blog) und es gibt Bruno. Ich habe im Kindergarten den ersten Bruno kennen gelernt. Bruno hatte braunes, krauses Haar, braune Augen - klar, dass das ein Bruno ist (Bruno, ein abgeleiteter Name vom schweizerdeutschen Wort brun für das deutsche Wort braun. In Deutschland würde Bruno Folge dessen Brauno heissen, in Frankreich Brunau, sprich Brüno, und im englischen Sprachraum Browno, sprich Brauno). Später habe ich zwei weitere Brunos (das Plural von Bruno ist im Frz. übrigens sehr einfach: Brunaux, wie Bureau zu Bureaux wird) kennen gelernt. Beide Brunos - oder eben: beide Brunaux - hatten braune Haare, braune Augen. Sonst würden sie ja nicht Bruno heissen, sondern vielleicht Christian oder Reto (Reto, eine Vermischung aus dem deutschen ursrünglichen Namen Roto und dem englischen Namen Redo für rothaarige Menschen. Re + to = Reto). Aber da sie nun einmal braunhaarig sind, die Brunos, heissen sie eben Bruno und nicht Christian oder Reto. Diese Theorie hat funktioniert, bis ich Bruno begegnet bin. Ein Jürg, der Bruno heisst... blondes Haar, blaue Augen. Er heisst nicht Jürg. Er heisst auch nicht Blondo oder Blauo (diese Namen gibt es ja auch nicht...). Er heisst Bruno, und mein ganzes Weltbild war durcheinander - für eine Weile. Bruno, also der blonde Bruno, trug nämlich immer Kleidung in Brauntönen (manchmal auch olive, aber olive passt zu braun, finde ich, passt zu Bruno). Zum Glück, habe ich dann gedacht, zum Glück haben ihn seine Eltern nicht Pinko genannt!


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Mittwoch, 29. April 2009

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Ohne Titel

Bestimmt eine Stunde habe ich zugeschaut, wie du den Salat gefressen hast. Ich lag auf dem Bauch. Den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, fühlte ich den harten, kalten Steinboden unter meinen Rippen. Eigentlich habe ich mich aus Langeweile zu dir gelegt. Ich wollte nichts mehr denken und schon gar nichts mehr machen. Meine Gedanken haben sich die ganze Zeit im Kreis gedreht. Eigentlich wollte ich mich fragen, wie es weiter gehen soll, wie meine Pläne aussehen könnten. Dafür bin ich extra so weit gereist, um Klarheit zu gewinnen, Klarheit gewinnen aus der Distanz. Aber immer, wenn ich glaubte, endlich einen klaren Gedanken gefasst zu haben, entwischte er wieder, weil das Bild seines Gesichtes mitten im gedankliche Konstrukt auftauchte, und ich fragte mich, was er wohl gerade macht. Das hat mich müde gemacht - müde und wütend. Deshalb habe ich mich zu dir gelegt. Es war schon kühl geworden draussen, und der harte Plattenboden lud eigentlich auch nicht ein, bäuchlings darauf zu verweilen. Du hast aber meine ganze Aufmerksamkeit auf dich gelenkt, als ich mich etwa um neun vom weissen Plastikstuhl erhob, um den Rotwein aus der Küche zu holen. Zuerst habe ich nur ein Salatblatt gesehen, das mir beim Auftischen versehentlich vom Teller gefallen sein muss. Ich wollte es weg wischen, und erst in diesem Moment bist du mir aufgefallen. Ich habe mir ein Glas Wein geholt und mich neben dich gelegt. Wahrscheinlich bist du aus dem benachbarten Garten gekommen. Eine feine Schelimspur zeigte jedenfalls in diese Richtung. Ich habe mich ganz nahe zu dir gelegt, weil es schon dunkel war, und weil ich genau sehen wollte, wie du das grüne Blatt verzehrst. Es ging lange, sehr lange bis du das Blatt aufgefressen hast. Zuerst hast du es von allen Seiten begutachtet, mit deinen Fühlern befühlt, dann hast du an einer Ecke angefangen zu knabbern. Immer wieder hast du eine Pause eingelegt, um dann wieder an einer anderen Ecke weiterzufressen. Als du das erste Blatt endlich vertilgt hast, habe ich dir weitere Blätter gebracht. Ich habe Karotten zerkleinert - ich glaube, die haben dir besonders geschmeckt - und Rucola gehackt. Als nichts mehr da war, hast du den Rückweg angetreten. Du hast dich langsam gedreht, Richtung rote Mauer und bist gegangen. Ich habe dir noch eine Weile zugeschaut, und erst als du in der Dunkelheit verschwunden warst, habe ich bemerkt, dass mich meine Rippen schmerzen. Am nächsten Abend um punkt neun warst du wieder im Anmarsch. Ich habe dir wieder Salat bereit gelegt und mich zu dir gelegt. So vergingen die Abende dort. Am Nachmittag bin ich manchmal spazieren gegangen, oder ich habe den Wellen zugeschaut und versucht Bücher zu lesen. Am Abend habe ich gekocht, Spaghetti mit Tomatensauce, einen Rotwein geöffnet und für dich Salat geschnippelt. Du bist immer gekommen, immer um neun, und wir haben die Zeit zusammen verbracht. Ich habe vergessen nachzudenken. Ich habe vergessen, Pläne zu machen. Ich habe vergessen, Ideen zu entwickeln. Ich habe vergessen, ihn zu vergessen. Ich war einfach dort. Ich habe dir zu geschaut, und wenn du nicht da warst, habe ich auf dich gewartet und mich auf dich gefreut. Was du wohl jetzt machst? Gehst du immer noch um neun auf die Steinterasse und suchst nach Salat? Vielleicht füttert dich jetzt jemand anderes. Vielleicht zeigst du jetzt jemand anderem, dass es mehr gibt, als immer nur planen, denken, entwickeln, wollen und sollen. Vielleicht. Vielleicht hat dich auch ein Vogel gefressen oder ein Schuh zertrampelt. Vielleicht.


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Donnerstag, 16. April 2009

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Wenn es regnet, hört man nicht Reggae

Jetzt stehst du wieder an dieser Kreuzung. Du stehst an der Kreuzung und gehst nach links - wie immer, nach links. Früher bist du ab und zu nach rechts gegangen, oft sogar. Heute gehst du nach links - immer. Manchmal würdest du auch gerne geradeaus gehen, heute zum Beispiel, heute besonders. Aber du wirst nach links gehen, wie immer. Etwas anderes würde sowieso keinen Sinn machen, als nach links abzuzwiegen. Du hörst Musik. Früher hast du selten Musik gehört - nur zu Hause und in den Klubs natürlich. Aber jetzt hörst du fast immer Musik, zu allem, was du tust, zu fast allem: Musik. An Musik kann man sich festhalten. Man kann zumachen. Man ist nur mit sich allein, egal, wo man ist. Man muss niemanden sehen, niemanden hören - nur die Musik und die eigenen Gedanken, natürlich. Die Gedanken fliessen dann zur Musik, im Rhythmus der Musik, und sie erscheinen plötzlich wichtig, so wichtig. Plötzlich wird das eigene Leben, der eintönige Alltag zu einem Film, zu einem spannenden Film - immer schön begleitet durch Musik. Menschen, die in einem Film vorkommen, sind wichtig, und besonders wenn Musik läuft, befindet sich der Protagonist in einem wichtigen Moment seines Film-Lebens. Also hörst du immer Musik und fühlst dich wichtig, eben als wärst du selber der Protagonist eines Films mit Zuschauern, und du wählst die Musik selber, passend zur Stimmung, natürlich. Wenn es regnet hört man nicht Reggae. Man hört bei Regen traurige Gitarren-Musik und ist auch traurig. Bei Sonne, da hört man Reggae oder Salsa vielleicht - aber Salsa nur, wenn man ganz glücklich ist. Wenn man bei Sonne traurig ist, dann wird es schwieriger... Aber heute regnet es ja. Es regnet, und du hörst Gitarren-Musik. Du, also der Protagonist, hat nasse Füsse, nasse Hosen. Du drehst den schwarzen Schirm in deinen Händen und schaust traurig zu Boden. Du bist traurig, weil es regnet, oder es regnet, weil du traurig bist - in Filmen ist das so. Es regnet, wenn der Protagonist traurig ist. Und Kreuzungen kommen auch oft vor in Filmen. Sollst du nach rechts gehen? Sollst du nach links gehen? Oder geradeaus... Wenn es ein Happy End gibt, geht man geradeaus, würde ich sagen. Aber du gehst nach links - es regnet ja auch, und dann noch die traurige Gitarren-Musik. Das klingt nicht nach Happy End. Du gehst also nach links, wie immer. Das passt, finde ich. Regen, Gitarren-Musik und links. Das passt.


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Dienstag, 14. April 2009

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Golden, tatsächlich
für Chläus-Grossvati

Die goldene Flüssigkeit sprudelte aus der grünen Flasche in das schräg gehaltene Glas. Du hast immer gesagt, die Farbe sei golden - ich fand sie, sei gelb. Oben bildete sich ein weisser Schaum, und kleine Bläschen stiegen unablässig vom Grund an die Oberfläche, wo sie sich im Schaum verloren. Wenn man ganz leise war, konnte man den Schaum flüstern hören. Das lange Glas mit goldenem Rand lief an, so dass man wunderbar darauf hätte malen können. Du hieltest das Glas in die Höhe, damit ich das goldene Glänzen in der Sonne bewundern konnte. Wenn du nach dem Anstossen einen kräftigen Schluck genommen hast, blieb vom weissen Schaum an deinem Schnurrbart hängen. Du hast einfach weiter geredet, und erst nach einigen Sätzen hast du mit dem Handrücken über deinen Mund gewischt. Nach dem zweiten Glas hat dein Hemd leicht bitterlich gerochen, oft vermischt mit einem Hauch von Zigarettenrauch. Ich habe diesen Geruch immer gemocht - und ich mag ihn noch immer. Er erinnert mich an dich, an dich und an meine Kindheit. Wenn ich diese Mischung rieche, sehe ich vor mir deine dunklen Augenbrauen über den blauen Augen. Ich sehe deine farbigen Krawatten, an denen ich so gerne gekaut habe. Ich denke an die Tage in den Bergen, an den Schnee und die Nuss-Schokolade, die du mir jedesmal geschenkt hast. Den bitterlichen Geruch habe ich immer gemocht, aber das Getränk, mochte es auch noch so golden sein, hat mir nie geschmeckt, bis jetzt. Und heute sitze ich hier am See - und trinke ein Bier. Ich halte das Glas leicht schräg, wenn ich einschenke und schaue zu, wie sich oben weisser Schaum bildet. Ich schaue zu, wie die Bläschen an die Oberfläche steigen und versuche so leise zu sein, dass ich den Schaum vergehen hören kann. Und ich denke an dich. Wie gerne würde ich jetzt mit dir anstossen. Wie gerne würde ich jetzt das Klirren hören, wenn unsere Gläser auf einander treffen. Ich würde einen kräftigen Schluck nehmen und dann, dann würde ich einen Moment verstreichen lassen, bevor ich mir mit dem Handrücken über den Mund wischen würde. Wenn du mich jetzt sehen könntest... Du würdest dich wahrscheinlich im Grab umdrehen! Deine Enkelin trinkt Bier, und es ist golden - tatsächlich!


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