Mittwoch, 29. April 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ohne Titel

Bestimmt eine Stunde habe ich zugeschaut, wie du den Salat gefressen hast. Ich lag auf dem Bauch. Den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, fühlte ich den harten, kalten Steinboden unter meinen Rippen. Eigentlich habe ich mich aus Langeweile zu dir gelegt. Ich wollte nichts mehr denken und schon gar nichts mehr machen. Meine Gedanken haben sich die ganze Zeit im Kreis gedreht. Eigentlich wollte ich mich fragen, wie es weiter gehen soll, wie meine Pläne aussehen könnten. Dafür bin ich extra so weit gereist, um Klarheit zu gewinnen, Klarheit gewinnen aus der Distanz. Aber immer, wenn ich glaubte, endlich einen klaren Gedanken gefasst zu haben, entwischte er wieder, weil das Bild seines Gesichtes mitten im gedankliche Konstrukt auftauchte, und ich fragte mich, was er wohl gerade macht. Das hat mich müde gemacht - müde und wütend. Deshalb habe ich mich zu dir gelegt. Es war schon kühl geworden draussen, und der harte Plattenboden lud eigentlich auch nicht ein, bäuchlings darauf zu verweilen. Du hast aber meine ganze Aufmerksamkeit auf dich gelenkt, als ich mich etwa um neun vom weissen Plastikstuhl erhob, um den Rotwein aus der Küche zu holen. Zuerst habe ich nur ein Salatblatt gesehen, das mir beim Auftischen versehentlich vom Teller gefallen sein muss. Ich wollte es weg wischen, und erst in diesem Moment bist du mir aufgefallen. Ich habe mir ein Glas Wein geholt und mich neben dich gelegt. Wahrscheinlich bist du aus dem benachbarten Garten gekommen. Eine feine Schelimspur zeigte jedenfalls in diese Richtung. Ich habe mich ganz nahe zu dir gelegt, weil es schon dunkel war, und weil ich genau sehen wollte, wie du das grüne Blatt verzehrst. Es ging lange, sehr lange bis du das Blatt aufgefressen hast. Zuerst hast du es von allen Seiten begutachtet, mit deinen Fühlern befühlt, dann hast du an einer Ecke angefangen zu knabbern. Immer wieder hast du eine Pause eingelegt, um dann wieder an einer anderen Ecke weiterzufressen. Als du das erste Blatt endlich vertilgt hast, habe ich dir weitere Blätter gebracht. Ich habe Karotten zerkleinert - ich glaube, die haben dir besonders geschmeckt - und Rucola gehackt. Als nichts mehr da war, hast du den Rückweg angetreten. Du hast dich langsam gedreht, Richtung rote Mauer und bist gegangen. Ich habe dir noch eine Weile zugeschaut, und erst als du in der Dunkelheit verschwunden warst, habe ich bemerkt, dass mich meine Rippen schmerzen. Am nächsten Abend um punkt neun warst du wieder im Anmarsch. Ich habe dir wieder Salat bereit gelegt und mich zu dir gelegt. So vergingen die Abende dort. Am Nachmittag bin ich manchmal spazieren gegangen, oder ich habe den Wellen zugeschaut und versucht Bücher zu lesen. Am Abend habe ich gekocht, Spaghetti mit Tomatensauce, einen Rotwein geöffnet und für dich Salat geschnippelt. Du bist immer gekommen, immer um neun, und wir haben die Zeit zusammen verbracht. Ich habe vergessen nachzudenken. Ich habe vergessen, Pläne zu machen. Ich habe vergessen, Ideen zu entwickeln. Ich habe vergessen, ihn zu vergessen. Ich war einfach dort. Ich habe dir zu geschaut, und wenn du nicht da warst, habe ich auf dich gewartet und mich auf dich gefreut. Was du wohl jetzt machst? Gehst du immer noch um neun auf die Steinterasse und suchst nach Salat? Vielleicht füttert dich jetzt jemand anderes. Vielleicht zeigst du jetzt jemand anderem, dass es mehr gibt, als immer nur planen, denken, entwickeln, wollen und sollen. Vielleicht. Vielleicht hat dich auch ein Vogel gefressen oder ein Schuh zertrampelt. Vielleicht.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Keine Kommentare: