Freitag, 29. Mai 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ganz und gar nicht egal

Am Abend bin ich zum Bahnhof spaziert. Ich war noch etwas früh, etwas zu früh. Ich habe eine Cola getrunken am Bahnhof, weil ich eben noch etwas früh war. Oder war es ein Bier? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern... Aber es ist eigentlich ganz egal, was es war. Ich sass also da und trank etwas, ein Bier oder eine Cola, wahrscheinlich. Irgendwann ist der Zug eingefahren. Ich bin aufgestanden. Bezahlt habe ich zuerst noch, dann bin ich aufgestanden. Es war heiss. Die Sonne schien. Sie schien wieder! Nein, eigentlich schien sie gar nicht. Sie brannte viel mehr am Himmel, verbrannte meine Haut, und meine Gedanken brannte sie weg. Später sass ich an einem Tisch. Das weiss ich noch. Das Tischtuch muss einmal rot gewesen sein. Jetzt war es etwas verblichen, schon fast rosarot - von der Sonne, vielleicht auch vom Regen. Es hatte Holzstühle, so Holzstühle, die man zusammenklappen kann. Aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig. Das Essen war wirklich gut, glaube ich. Es war gut gewürzt, glaube ich. Es gab eine Vorspeise mit Balsamico und danach Spaghetti oder Tagliatelle oder sonst etwas. Und der Wein, er hat auch ganz gut geschmeckt. Ein italienischer Wein, irgend so ein Barolo, glaube ich. Der Espresso danach war stark - stark, süss und gut. Es lief Reggae im Hintergrund, irgend so ein Lied von Bob Marley. Vielleicht Jammin' oder No Woman no Cry. Vielleicht war es aber auch Jimmy Cliff, der sang. Ich habe nicht richtig hingehört. Aber eigentlich ist das alles gar nicht so wichtig. Eigentlich ist das alles sogar egal, ganz egal. Die Sonne hätte auch nicht scheinen brauchen. Es war mir ganz egal. Da man am Abend isst, habe ich versucht zu essen. Der Wein lief angenehm meinen Gaumen hinunter, aber die Teigwaren schienen irgendwo stecken zu bleiben. Eigentlich wollten sie gar nicht erst in meinen Mund geführt werden. Sie wollten auf dem Teller liegen bleiben. Sie wollten dort kalt werden. Oder vielleicht hätten sie auch gar nie bestellt werden wollen, gar nie gekocht werden wollen. Aber weil man am Abend etwas isst, habe ich sie bestellt. Der Koch hat sie gekocht, und ich habe sie dann dazu gezwungen in meinem Mund hin und her geschoben zu werden. Aber der Espresso, der war dann wieder gut - stark, süss und gut. Ich habe etwas erzählt. Eine Geschichte vielleicht oder vielleicht auch eine Lüge. Vielleicht habe ich auch nichts gesagt, gar nichts... Die Sonne hat meine Gedanken weg gebrannt. Und ich sass da, zuerst vor der Vorspeise, dann vor den Teigwaren, dann vor dem Espresso, dem Grappa, dann vor dem leeren Tisch, vor dem vollen Aschenbecher. Ich sass da und dachte nichts, vielleicht dachte ich auch etwas, vielleicht erzählte ich auch etwas - eine Geschichte oder vielleicht sogar eine Lüge. Aber eigentlich ist das alles ganz egal. Warum erzähle überhaupt eine Geschichte, die so ganz egal ist? Oder ist es eine Lüge? Jedenfalls bin ich irgendwann aufgestanden. Zuerst habe ich noch bezahlt - oder hast du bezahlt? Jemand hat zuerst bezahlt, bevor wir aufgestanden sind, glaube ich. Es war wahrscheinlich schon dunkel, als ich gegangen bin, aber kalt war es nicht. Da bin ich mir ganz sicher. Ich war dann irgendwann zu Hause. Jedenfalls bin ich am Morgen erwacht - und die Sonne schien. Sie schien wieder! Nein, eigentlich schien sie gar nicht. Sie brannte viel mehr vom Himmel. Aber warum erzähle ich überhaupt eine Geschichte, die so ganz egal ist? Die Geschichte ist nicht egal. Nur die Worte... Die Worte sind irgendwie egal. Egal. Hauptsache die Sonne scheint wieder. Obwohl... eigentlich ist das ja auch ganz egal. Aber dass du da warst, das war nicht egal, ganz und gar nicht egal.


für D.M.

* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Dienstag, 19. Mai 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ungerobsi u hingerfürschi













* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Montag, 18. Mai 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Warten

Jeden Tag aufstehen. Jeden Tag Kaffee trinken – starken, schwarzen Espresso mit viel Zucker. Jeden Tag essen. Jeden Tag trinken – möglichst viel, am besten Wasser, drei Liter wäre gut, drei Liter Wasser, jeden Tag. Jeden Tag warten, auf den Zug, den Bus, den verpassten Bus, auf einen besseren Tag, einen schönen Tag, einen Tag mit viel Sonne, viel Freude. Am besten sind Wochenenden, Samstage mit viel Sonne, aber nicht zu heiss, wenn möglich nicht zu heisse Samstage, aber mit Sonne. Am Samstag weiss man, dass noch ein freier Tag folgt, wenn möglich ebenfalls mit Sonne, viel Sonne – aber nicht zu heiss. Auf den Sonntag wartet man nicht, weil Sonntage sind doof. Man weiss, dass am nächsten Tag wieder Montag ist. Das macht traurig. Das macht müde, manchmal auch wütend, manchmal lustlos. Montage sind immer doof, weil man aufstehen muss, früh aufstehen – fast immer. Ausser man hat frei am Montag, dann ist Sonntag, wie Samstag, wenn möglich mit viel Sonne, einfach wenn möglich mit Sonne, aber nicht zu heiss, etwas Schatten wäre gut und vielleicht noch ein Bier – natürlich erst am Abend. Ein kühles Bier an einem sonnigen Samstagabend, oder an einem sonnigen Sonntagabend, natürlich nur, wenn man am Montag dann frei hat, was selten ist – dann ist aber der Sonntag sowieso wie Samstag. Das ist gut. Am Montag wartet man auf Dienstag, oder schon aufs Wochenende, auf ein sonniges Wochenende, auf Samstag. Am Dienstag, am Mittwoch, am Donnerstag und auch noch am Freitag: Warten. Warten habe ich schon immer gehasst – immer! Ich verpasse manchmal den Zug, weil ich so knapp aus dem Haus gehe, damit ich nicht am Bahnhof warten muss. Wenn ich einen Anruf erwarte, schalte ich manchmal das Telfon aus, damit ich nicht auf das Klingeln warten muss. Aber eigentlich besteht das Leben aus warten – so oft: warten. Erwarten, abwarten, warten, warten... Man kann eine Zigarette rauchen, um das Warten in eine Handlung zu verwandeln. Man wartet trotzdem. Man kann Musik hören, ein Bier trinken, beobachten, denken. Man wartet trotzdem. Ich hasse warten – immer. Warten macht nervös. Und je nach dem, auf was man wartet, je nach Grösse der bevorstehenden Erwartung, mag man nicht einmal mehr essen, mag man nicht mehr... Besser aber man macht etwas, um nicht bewusst zu warten, nicht bewusst auf den Zug zu warten, nicht bewusst auf den verpassten Bus zu warten, nicht auf den Anruf zu warten, nicht auf das sonnige Wochenende zu warten (vielleicht regnet es ja am Wochenende, und verregnete Wochenenden sind nicht wartenswert). Am Morgen wartet man auf den Mittag, nach dem Mittag auf den Abend, im Winter auf den Frühling, den Sommer. Im Kindergarten wartet man auf die Schulzeit, in der Schule auf die Selbständigkeit. Man wartet auf eine neue Anstellung, eine gute Nachricht, manchmal kommt aber dann eine schlechte – oft sogar. Man wartet. Wartet. Und am Ende... Am Ende hat das Warten ein Ende. Der Tod. Aber auf den wartet man eigentlich nicht. Man wartet auf alles, was vorher ist. Man wartet, um zu warten, um zu warten, um zu warten, um zu warten, um zu warten (u.s.w) und um wieder zu warten. Aber am Ende... Ich habe warten schon immer gehasst – immer...


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Mittwoch, 13. Mai 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Die gelben Schuhe,
an die Kindheit

Der blutrote Lippenstift passt gut zu schwarz. Er passt gut zu weiss und zu grau und zu anthrazit. Er passt nicht zu anderen Farben. Aber zu schwarz, weiss, grau und anthrazit passt er wunderbar, und sie trägt immer schwarz und manchmal weiss, manchmal grau oder anthrazit, und dazu trägt sie immer den blutroten Lippenstift - am Morgen etwas dezenter als am Nachmittag, aber dennoch nicht so stark wie am Abend. Das ist eine unausgesprochene Regel, die genau gleich funktioniert wie die Absatzschuhregel: Je später der Tag, desto höher die Absätze - am Morgen keine und am Abend darf man dann die Bleistiftabsatzschuhe aus dem Regal nehmen. Macht frau es nicht so, läuft sie Gefahr, billig zu wirken - wurde ihr einmal gesagt. Und an solche Regeln versucht sie sich zu halten - je älter sie wird, desto wichtiger erscheinen ihr diese ungeschriebenen Gesetze. Aber an diesem Tag trug sie sowieso sie keine Absatzschuhe, obwohl schon Nachmittag war, und sie trug auch den Lippenstift nicht. Sie trug gelbe Schuhe, und Blutrot passt nun einmal nicht zu Gelb, passt nicht zum Frühlingssonnengelb ihrer Schuhe. Die gelben Schuhe unter ihr trugen ihre Füsse, trugen sie über den grauen Teer, trugen sie weiter über kiesbedeckte Erdwege. Sie schaute immerzu die Schuhe an, wie sie sie trugen, wie sie Staub aufwirbelten, wie sie Steinchen anschubsten. Sie ging immer weiter, bis das Frühlingssonnengelb auf grünes Gras trat. Da blickte sie auf, erst da. Sie stand endlich auf der kleinen Wiese, bedeckt von gelben, weissen und violetten Punkten - gelb-weiss-violette Punktblumen. Mitten auf dem grün-gelb-weiss-violetten und ein bisschen braunen Gras breitete sie ihre Arme aus und drehete sich im Kreis - einmal, zweimal... An ihr zogen die Bäume vorbei, der Zaun, wieder die Bäume und dann und wann ein gelber Schuh, die Bäume, der Zaun
(...) und dann und wann ein weißer Elefant. (Zitat aus das Karussell, Jardin du Luxembourg, Rainer Maria Rilke)
Sie liess sich aus der Drehung heraus fallen, auf das weiche Gras (vielleicht fiel sie auch gezwungenermassen, weil ihr schwindlig wurde) und schloss die Augen. Die Erde drehte weiter ihre Kreise. Oder drehte sie weiter? Oder vielleicht das Karussell? Farben umkreisen sie
(...) und
dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet (...)
(Zitat aus das Karussell)
Sie blieb liegen, bis die Welt wieder still stand, bis der weisse Elefant still stand und verschwand. Sie blieb liegen und dachte an nichts, schaute nur dem Farbenspiel zu, bis auch die Farben wieder verschwanden und vor ihr nur noch schwarz war - schwarz, grau und ein bisschen anthrazit. Dann öffnete sie wieder die Augen, erst dann. Sie stand auf und senkte ihren Blick zu den gelben Schuhen. Sie breitete ihre Arme aus, mitten auf dem grün-gelb-weiss-violetten und ein bisschen braunen Gras und drehte sich im Kreis - dreimal, viermal...
(...) und dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel . . .
(Zitat aus das Karussell)
Und sie lässt sich wieder fallen, schliesst die Augen, immer wieder, immer wieder. Ist das Spiel beendet, beginnt es wieder von vorne. Als der Tag zu Ende geht, tragen sie die gelben Schuhe, die in der Dunkelheit antrazit-grau-schwarz wirken, zurück über den kiesbedeckten Erdweg, zurück über den Teer - zurück zum Blutrot. Es ist ja jetzt Abend, und am Abend trägt man Absatzschuhe, wenn möglich Bleistiftabsatzschuhe und stark aufgetragenen, blutroten Lippenstift. Das ist so...


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Dienstag, 5. Mai 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Für alle Brunos

Es gibt Namen, die sind einfach. Sie sind einfach Namen, seit ich im Sandkasten gespielt habe. Man muss sie nicht hinterfragen, weil sie sind: Thomas, Christian, Andrea, Rahel, Stefan, Michael, Karin, Sara. Dann gibt es noch Namen für Erwachsene. Die muss man auch nicht hinterfragen. Das sind Namen für Erwachsene: Peter, Urs, Käthi, Werner, Vreni, und Namen für Alte sind einfach Namen für Alte: Hans, Fritz, Marie, Mina, Gertrud, Max. Manchmal gibt es auch Menschen, die heissen nicht so, wie sie heissen sollten. Sie heissen nicht, wie sie aussehen. Ein runder Kopf, zwei blaue Knopfaugen. Benedikt, stellt er sich vor. Benedikt? Er müsste Christian heissen mit seinen blauen Knopfaugen und dem runden Kopf, Christian. Eine Brille, braune Haare, verschmitzter Gesichtsausdruck. Das ist ein Stefan. Aber Stefan heisst Jürg... Jürg? Ein Jürg ist gross, hat blonde Haare und einen langen Hals, eigentlich... Dann gibt es noch Rolf (siehe auch: Für alle Rölfe, ein Beitrag auf diesem Blog) und es gibt Bruno. Ich habe im Kindergarten den ersten Bruno kennen gelernt. Bruno hatte braunes, krauses Haar, braune Augen - klar, dass das ein Bruno ist (Bruno, ein abgeleiteter Name vom schweizerdeutschen Wort brun für das deutsche Wort braun. In Deutschland würde Bruno Folge dessen Brauno heissen, in Frankreich Brunau, sprich Brüno, und im englischen Sprachraum Browno, sprich Brauno). Später habe ich zwei weitere Brunos (das Plural von Bruno ist im Frz. übrigens sehr einfach: Brunaux, wie Bureau zu Bureaux wird) kennen gelernt. Beide Brunos - oder eben: beide Brunaux - hatten braune Haare, braune Augen. Sonst würden sie ja nicht Bruno heissen, sondern vielleicht Christian oder Reto (Reto, eine Vermischung aus dem deutschen ursrünglichen Namen Roto und dem englischen Namen Redo für rothaarige Menschen. Re + to = Reto). Aber da sie nun einmal braunhaarig sind, die Brunos, heissen sie eben Bruno und nicht Christian oder Reto. Diese Theorie hat funktioniert, bis ich Bruno begegnet bin. Ein Jürg, der Bruno heisst... blondes Haar, blaue Augen. Er heisst nicht Jürg. Er heisst auch nicht Blondo oder Blauo (diese Namen gibt es ja auch nicht...). Er heisst Bruno, und mein ganzes Weltbild war durcheinander - für eine Weile. Bruno, also der blonde Bruno, trug nämlich immer Kleidung in Brauntönen (manchmal auch olive, aber olive passt zu braun, finde ich, passt zu Bruno). Zum Glück, habe ich dann gedacht, zum Glück haben ihn seine Eltern nicht Pinko genannt!


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten