Donnerstag, 13. August 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Allerliebstes Feindbild, Schall und Rauch

Mein allerliebstes Feindbild ist schon lange im Keller - vergraben unter Vergessenem, zwischen unnützen Erinnerungsstücken. Ich habe es nie absichtlich in diese Kiste verpackt, nie absichtlich in den Keller getragen. Es muss irgendwie zwischen die Poesiealben und die Briefmarkensammlung gekommen sein, als ich das letztemal umgezogen bin. Ich kann mich schlecht von Dingen trennen. Ich bewahre vieles auf, was einen sinnlosen Erinnerungswert zu haben scheint. Ich verpacke alles sorgfältig in Kartonschachteln und vergesse sie dann anzuschreiben. So landen Kleidungsstücke neben Tagebüchern und unnützen Zahlen im Keller - aufgeräumt, unangeschrieben, unvergessen. Irgendwo dazwischen ist es gestrandet, mein Feindbild, mein allerliebstes Feindbild. Heute habe ich es wieder gefunden und ich
(...) gibe mir e Blössi,
hole mis auerliebschte Findbild
nomau us em Chäuer,
putzes bis es wieder so glänzt wie denn
und nagle mir das schöne Stück
vor a mini
Stirne
(Zitat aus Compañero, Patent Ochsner)
Wie konnte ich es vergessen? Wie konnte es so klanglos aus meinem Leben verschwinden? Es war das, was uns angetrieben hat, was uns dazu bewogen hat, die Welt verändern zu wollen, in unseren Diskussionen, zwischen Rauch, Wein und Klängen. So einfach erschien die Welt... So einfach. Die Diskussionen sind irgendwann zu harmlosen Gesprächen geworden oder im besten Fall in Streit ausgeartet. Von der Musik ist bloss ein Echo übrig geblieben, und am Ende blieb nur noch der Wein - Schall und Rauch... Und du... Und du? Hast du unser Feindbild auch im Keller? Oder hast du es schon lange weggeworfen? Bist du überhaupt noch?
(...) hey, compañero sentimental!
i wär nid won i hüt bi
we du denn nid drbi wärsch gsi
compañero sentimental!
schad geit aus so schnäu verbi (...)

Genau so klanglos wie mein Feindbild bist du verschwunden. Wahrscheinlich bist du auch irgendwo im Keller in einer Kiste gelandet, als ich das letztemal umgezogen bin, gut verpackt, unangeschrieben - unvergessen. Falls nicht, falls du nicht in einer verstaubten Kiste gelandet bist, und falls du es irgendwo am Horizont glänzen siehst: Es ist das Feindbild, das noch einmal so glänzt wie damals. Und wenn du den Glanz erlöschen siehst, irgendwo am Horizont: Es ist das Feindbild. Ich packe es wieder in eine Kiste und räume es in den Keller - unangeschrieben, unvergessen. Ich ziehe wieder um.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Montag, 3. August 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Arsch und Engel



Ich sitze auf dem Klo, ein öffentliches Klo. Ich gehe nicht gerne auf öffentliche Klos. Es stinkt. Aber ich musste so dringend pinkeln. Ich versuche nicht mehr zu atmen, oder nur stossweise durch den Mund. Aber nur durch die blosse Vorstellung des Geruchs wird mir übel. Es ist düster. Trotzdem kann ich die mit Filzstift geschriebenen Sprüche und Namen an der schmutzig grauen Tür entziffern. Ich liebe dich! deine Petra. Schlampe. Fick dich. Forever M+S und Telefonnummern, manche durchgestrichen. Sie liebt jemanden, die Petra, denke ich. Vielleicht ist sie auch die Schlampe. Aber sie liebt einen Er, vielleicht auch eine Sie. Bestimmt liebt sie aber nicht mich, auch wenn sie sich mit ihrem Dich an mich richtet - ich kenne keine Petra. Du bist eine bitch, lese ich und denke sie ist eine bitch - nicht ich. Ein drittes Ich ist eine Bitch, eben sie. Die Person, die in einer Damentoilette mit du angesprochen wird, muss eine Sie sein, und ausserdem sagt man Männern ohnehin selten bitch. Das ist so. Männer sind keine Schlampen. Sie sind Helden, sagt man. Das ist halt so. Folgedessen ist die Bitch eine Sie. Immer wenn ich also ich lese denke ich du, er, sie, aber nie ich, obwohl da eigentlich ich steht. Ich bin aber nur für mich ich - einzig und alleine für mich. Schreibe ich ich, liest du in meinem Ich ein Du, ein Sie und, je nach dem, ob du mein Ich kennst oder nicht, vielleicht sogar ein Er, aber niemals ein Ich. Ich sage ich liebe dich. Du hörst ich liebe dich, denkst aber du liebst mich, sie liebt mich - vielleicht auch ich dich nicht. Ich gibt es nur für mich. Als Du gibt es mich für viele. Ohnehin gibt es viele Du, auch Er gibt es viele und Sie auch - trotzdem gibt es dich so nur einmal, zumindest für mich. Manchmal bin ich ein Du, manchmal ein kleines sie, manchmal ein grosses Sie, je nach Höflichkeit, aber ich bin ich nur einmal. Du auch. Sie auch. Auch er ist nur einmal ich, aber er ist er, tausendmal - oder mehr. Du ist er auch tausendmal, manchmal auch Sie - ein grosses Höflichkeits-Sie. Das bin ich manchmal auch - höflich, meine ich. Manchmal auch nicht. Dann sage ich du bist ein Arsch. Das ist nicht höflich. Deshalb sage ich ja auch nicht Sie sind ein Arsch oder Sie sind ein Gesäss. Wer das hört, denkt vielleicht dann ich bin ein Arsch. Aber mit grösster Wahrscheinlichkeit denkt das angesprochene Du, sie ist selber ein Arsch - obwohl Arsch männlich ist, kann ich ein Arsch sein. Ich kann ja auch ein Engel sein, und Engel ist auch männlich. Aber ob Arsch oder Engel, ich bin trotzdem immer ich - für dich aber immer du oder sie, manchmal Arsch, manchmal Engel. Ich spüle und atme dann draussen wieder frische Luft ein. Vor der Tür steht er, also du - für dich bist du ich, für mich du, immer du.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten