Montag, 30. März 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Aufstehen und gehen
- für dich, das Bild




* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und Non-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Dienstag, 24. März 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Aufstehen und gehen
- für dich

Ich sitze hier mit dir an diesem rot-braunen Tisch, trinke Kaffee und esse trockene Grissini. Eigentlich sitze ich immer hier mit dir an diesem rot-braunen Tisch, trinke Kaffee, esse trockene Grissini und meine ich hätte eine Vergangenheit und eine Zukunft. Weisst du noch, dieser kleine, orange Krebs, der dich in den grossen Zeh geklemmt hat? Fragst du. Natürlich weiss ich das noch. Ich habe laut aufgekreischt und bin wie eine wild gewordene Furie umher gerannt, als ich das freche Tier gesehen habe, obwohl es nicht weh getan hat. Überhaupt nicht. Ich wollte nicht mehr an den Strand liegen - den ganzen Nachmittag nicht mehr. Dann würde ich halt nicht braun werden. Dann würde ich halt ganz weiss aus den Ferien nach Hause kommen. Egal. Ich wollte einfach nicht mehr zu diesen klemmenden Viechern in den Sand liegen. Du hast auf mich eingeredet, und es hätte fast einen Streit gegeben, weil du mich inkonsequent genannt hast, als ich mich dann doch wieder an den Strand gelegt habe, schon am nächsten Tag. Inkonsequent, hast du mich genannt. Inkonsequent sei absolut unzutreffend. Lernfähig sei angemessener. Man nenne einen Menschen lernfähig, wenn er etwas tut, wovor er Angst habe, habe ich geantwortet. Natürlich erinnere ich mich daran - ich glaube mich daran zu erinnern - aber in Wirklichkeit sitze ich immer hier mit dir an diesem rot-braunen Tisch trinke Kaffee, esse trockene Grissini, immer, gefangen in einer Zeitschlaufe, die niemals endet.
Ich bin heute Morgen aufgestanden, habe mich über den Regen geärgert, habe geduscht, die Wäsche gemacht und sie später aufgehängt. Dann bin ich in das Café gegangen, habe einen Cappuccino bestellt und auf dich gewartet. Du warst zwanzig Minuten zu spät - wie immer. Ich mag Unpünktlichkeit nicht. Das weisst du. Eigentlich gibt es kaum Gründe, unpünktlich sein zu dürfen, finde ich. Ich war ein bisschen wütend, aber nicht richtig. Ich kenne dich ja. Du und fast alle deine Freunde sind unpünktlich. Wenn man sich um acht verabredet, braucht man nicht vor halb neun am Treffpunkt zu sein. Ich habe die Kellnerin gebeten, mir Grissini zu bringen und habe das Buch aufgeschlagen, das letzte Kapitel - ein unerwartetes Ende. Er ist doch nicht gestorben. Der Erzähler hat in die Handlung eingegriffen, wie ein Gott und hat den Protagonisten von der tödlichen Krankheit erlöst. Eine erstaunliche Idee. Ich mag solch unlogische, unerwartete Enden. Du bist genau in diesem Moment durch die Türe getreten, als ich das Buch zu geklappt habe. Ich habe noch über das Ende gelächelt, an einem Grissini geknabbert und zur Türe geschaut. Deine Augen sind suchend durch das volle Lokal gewandert. Ich habe mich extra nicht bemerkbar gemacht. Ich wollte dich noch ein bisschen bestrafen, für deine Unpünktlichkeit. Du hast gar nicht nach einer Entschuldigung gesucht. Du hast dich einfach gesetzt und gelächelt. Du wusstest, dass es gar keinen Sinn hätte. Ich würde die Ausrede nicht akzeptieren, und es würde nur zu einer endlosen Diskussion führen, über Ausreden, Respekt und wahrscheinlich im Thema Ehrlichkeit gipfeln. Also besser gar nichts sagen. Wir haben beide noch einen Cappuccino getrunken und dann zwei Espresso mit einem Glas Wasser, ein gewaltiges Glas Wasser. Wir haben gelacht, über die Grössenverhältnisse zwischen dem Glas und der kleinen Espresso-Tasse, daneben. Wir haben über unsere Pläne gesprochen, über unsere Pläne für die Zukunft und über Vergangenes. Wir haben uns erzählt, was wir erlebt haben, wo wir waren und was wir möchten. Irgendwann bist du aufs Klo gegangen oder hast Zigaretten geholt. Als du dich wieder an den rot-braunen Tisch gesetzt hast, hat es angefangen. Ein unangenehmes Gefühl. Ich habe begonnen, mich zu fragen, ob du jetzt überhaupt weg warst. Ich habe mich gefragt, ob wir jemals irgendetwas anderes getan haben, als zusammen an diesem Tisch zu sitzen und über Dinge zu sprechen, die entweder schon vorbei sind, oder noch gar nicht angefangen haben. Es war ein bisschen wie ein Déjà-vu, aber es war keines. Es war mehr so ein Gefühl, als würden wir uns in einem Zeit-Looping befinden, als hätten wir noch nie etwas anderes getan und würden nie etwas anderes tun, als hier einander gegenüber sitzen, vor einem halbvollen Kaffee und trockenen Grissini, an einem rot-braunen Tisch. Der Kaffee würde nie kalt werden, die Grissini würden wir nie aufessen, weil es immer jetzt bleibt, und in diesem Jetzt ist der Kaffee heiss. Wir würden einfach immer hier sitzen bleiben, wie wir schon immer hier sassen, und wir würden schweigen. Ich würde darüber nachdenken, ob ich schon immer hier sitze, immer, und was du denkst, das weiss ich nicht. Das wusste ich nie, und ich würde es nie wissen... Ich habe den Kaffee extra lange stehen gelassen, damit er kalt wurde, um mir zu beweisen, das die Zeit doch vergeht, dass es nicht nur dieses unbewegliche Jetzt gibt, das Jetzt mit dir hier an diesem Tisch. Ich habe die Tasse an meinen Mund geführt, habe einen Schluck genommen. Der Kaffee war kalt! Vielleicht war der Kaffee aber schon immer kalt, und ich habe mir nur die Situation vorgestellt, dass ein heisser Kaffee vor mir steht, den ich jetzt nicht trinken darf, um herauszufinden, ob die Zeit vergeht. Mein Gehirn spielt mir Streiche, um mich zu verwirren - immer stärker. Je mehr ich das Zeiträtsel auflösen will, beenden will, entgleiten mir die Beweise. Es gibt keinen Beweis, dass ich nicht immer nur da bin, wo ich jetzt gerade bin und mir nur vorstelle, dass ich jemals etwas anderes getan habe, dass ich jemals etwas anderes tun werde. Ich sitze hier mit dir an diesem rot-braunen Tisch, trinke Kaffee und esse trockene Grissini. Ich stehe auf und gehe, um die Zeitachse wieder in Bewegung zu bringen. Aber wer sagt, dass ich nicht immer gerade am aufstehen bin, am aufstehen und gehen...?


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Mittwoch, 18. März 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Es ist nicht das Herz
- Teil 2, rotes Zeitungsbündel



Ich glaube, hat er gesagt, ich glaube, das hier gehört dir.
Es sei neben dem Küchentisch gelegen, auf dem Fussboden. Etwas platt gedrückt - etwas platt, aber wahrscheinlich noch brauchbar. Das Zeitungsbündel, das er mir entgegenstreckte, gut zugeschnürt mit brauner Schur, war schon etwas rot - rot vom vielen Blut. Ich habe es nicht geöffnet. Ich wusste gleich: Das ist der Magen. Danke, habe ich gesagt - oder habe ich das nicht gesagt? (...) meh hani nid. Du chasch ne ha, we de wosch. Er isch e guete u es git nid mängge, wo ne würd , aber dir würdi ne . (...) (Abgeändertes Zitat aus: I schänke dir mis Härz, Züri West) Er wollte ihn nicht, meinen Magen. Wer will schon einen blutigen Magen haben... Er hat mich verständnislos angeschaut.
Danke, nein. Ich habe selber schon einen Magen und über den kann ich mich nicht beklagen. Lieber nehm' ich ein Glas Wein.
Nein - den trink' ich lieber selber.
Aber ohne Magen... Ohne Magen kannst du den Wein nicht trinken.
Dann nimm den Magen. Nimm den Wein. Es sei beides dein.
Er nahm den Wein - nur den Wein. Ich habe den Magen vergraben. Im Frühling ist an seiner Stelle ein Baum gewachsen (...) u de Boum treit honig-süessi Frücht. Dert isch scho wider der Wurm drin. (...) (Zitat aus: Brandstifter, Patent Ochsner) Ich mag Würmer. Zum Glück mag ich Würmer... (Siehe auch: Es ist nicht das Herz, ein Beitrag auf diesem Blog
http://vonfeltenwelten.blogspot.com/2009/03/von-felten-welten-productions_10.html)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Montag, 16. März 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Der Geschichtensammler
- Teil 2, der Panther

Die Geschichte ist geschrieben. Die Geschichte ist erzählt - wieder drei Preise gewonnen, ein Bestseller in Tunesien. Der Geschichtensammler fühlt sich aber wie der Panther, (...) vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass ihn nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. (...) (Zitat aus: der Panther, im Jardin des Plantes Paris, Rainer Maria Rilke) Die Stäbe sind nicht Stäbe. Die Stäbe sind gesammelte Geschichten in seinen Notizbüchern, auf seinen Zetteln, in seinem Kopf, und er hat das Gefühl, vor lauter Geschichten seine eigene zu vergessen. Er will nicht mehr beobachten, will keine Geschichten mehr sammeln, will keine mehr erzählen. Manchmal geht er aus dem Haus, um sich wieder mit Hammelfleisch, gefroren und Reis einzudecken (...) dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein. (Zitat aus: der Panther). Er lässt die Bilder nicht mehr zu Geschichten werden. Er lässt sie einfach vergehen, wie er seine eigene Geschichte vergehen lässt. Viele Tage - oder sind es Wochen? - verbringt er in seiner Wohnung. Manchmal liest er, sonst starrt er die weisse Wand an und malt in Gedanken Blumen darauf, die er dann zählt, wenn das gedankliche Kunstwerk beendet ist. Aus Langeweile beginnt er auch Zigaretten zu rauchen und freut sich darüber, dass die weissen Wände vergilben - immerhin eine Farbe, denkt er. Immerhin ein schöner Hintergrund für die Gedanken-Blumen. Die alte Dame, seine aufmerksame Nachbarin, hat noch einmal einen Berliner gebracht, dann war sie weg - verstorben oder umgezogen. Er weiss nicht, wo sie ist. Eines Tages war sie einfach fort. Aus Langeweile beginnt er oft zu putzen. Er holt den grünen Plastikeimer aus dem Putzschrank und fegt die vergilbten Wände wieder weiss, schrubbt die Gedanken-Blumen weg (183 sind es insgesamt), um dann wieder zu rauchen und neue Blumen zu denken (dieses Mal 253). Sein Putzschrank befindet sich im Gang, zwischen Küche und Wohnzimmer. Die weisse Schranktür sieht genau gleich aus wie seine Zimmertüren, aber dahinter ist kein Zimmer. Da sind nur drei Besen in verschiedenen Grössen, der grüne Plastikeimer, farbenfrohe Putzlumpen, WC-Putzmittel und Allzweckreiniger. Absurd, einen Schrank als Zimmer zu tarnen, hat er schon oft gedacht, und immer wenn er die Schranktür, die aussieht wie eine Zimmertür, öffnet, hofft er dass sich dahinter ein Raum auftun würde. Er hofft, dahinter einen Lift zu finden, ein grosses Bad mit Whirlpool oder sogar einen Vergnügungspark voller lachender Menschen. Jedesmal findet er aber nur die drei Besen in verschiedenen Grössen, den grünen Plastikeimer, die farbenfrohen Putzlumpen, das WC-Putzmittel und den Allzweckreiniger, der mittlerweile schon fast leer ist vom vielen Putzen, und denkt: Absurd, einen Schrank als Zimmer zu tarnen... Er füllt den letzten Tropfen des Allzweckreinigers in den grünen Eimer und giesst heisses Wasser nach, bis es schäumt. Er liebt den weissen Schaum, weil er so erfrischend blubbert. Er fegt wieder einmal die vergilbten Wände und schrubbt die 95 grün-gelben Blumen weg, als er es klopfen hört. Er stellt den Eimer neben dem Putzschrank ab und geht zur Haustüre. Ob wohl die Klingel defekt ist? Fragt er sich und öffnet die Tür zum Hausflur. Da ist niemend. Er schaut aus dem Fenster auf die Strasse herunter. Da ist niemand. Nur der Regen platscht in Strömen vom Himmel. Es klopft wieder. Es klopft hinter ihm. Es klopft am Putzschrank. Er öffnet die Schranktür: Da steht die alte Dame, seine Nachbarin auf einer Wiese, hinter ihr weisse Schneeberge. Die Sonne strahlt vom wolkenlos blauen Himmel. Sie streckt ihm wortlos einen Nussgipfel entgegen und wendet sich zum Gehen. Der geschichtenmüde Geschichtensammler hasst die Berge. Er hasst auch den Schnee. Er hasst die Sonne, aber er ist erfreut, dass sich endlich ein Raum hinter der zimmerlosen Tür auftut und tritt ein - tritt hinaus auf die Wiese. Er legt sich in die Sonne und beginnt Blumen an den blauen Himmel zu malen, 33' 763 weisse Blumen. Dann zählt er die Wolken-Blumen und isst den Nussgipfel. Rauchen mag er nicht. Der Himmel würde ohnehin nicht gelb werden, und ausserdem ist blau ein viel schönerer Hintergrund für weisse Blumen, denkt er. Dann steht er auf und geht zurück in seine Wohnung. Er muss lange weg gewesen sein. Der grüne Eimer steht immer noch neben der Schranktür, aber anstelle des Schaums schwimmt nun grünlicher Schimmel im kalten Wasser. Es ist dunkel draussen. Er zieht die schwarze Lederjacke an und verlässt das Haus. Eine kurzhaarige Frau strahlt ihn an, als er das dämmrige Mokka betritt. Er nickt ihr zu. Er hat sie auch schon gesehen - noch nie an einem anderen Ort, als im Mokka. Sie redet immer viel, trinkt Fusel-Prosecco und manchmal fotografiert sie. Wahrscheinlich sammelt sie Bilder, denkt er. Vielleicht wohnt sie in einem anonymen Block. Auf einem Glastisch in ihrem Zimmer liegen Bücher, Notizblätter und Fotos - bestimmt viele Wolken-Bilder... Sie schreibt keine Romane. Das kann sie nicht. Sie sammelt Momente, hält Momente fest. Sie versucht, mit ihren Bildern die Zeit anzuhalten, aber das gelingt ihr nicht. Das gelingt nicht. Aus Langeweile malt sie manchmal Gedanken-Blumen an weisse Wände und (...) vom Vorübergehn der Stäbe (ist sie) so müd geworden, dass (sie) nichts mehr hält. (Ihr) ist, als ob es es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. (...) (abgeändertes Zitat aus: der Panther) Sie hat bestimmt einen Putzfimmel. Vielleicht hat sie auch einen Putzschrank, der aussieht wie eine Zimmertür. Er trinkt seine Cola aus und geht nach Hause. Er hat eine neue Geschichte gesammelt für eine Kurzgeschichte - bestimmt kein Bestseller, aber eine kleine Geschichte über eine Bildersammlerin mit einem Putzfimmel, die Gedanken-Blumen an weissen Wänden zählt (heute waren es 346) und eines Tages hinter einer Schranktüre eine sonnige Bergwiese findet, eine Bergwiese voller Farben...
Ich gehe ins Mokka. Ich trinke einen Prosecco. Ich tanze. Er ist nicht da. Ich gehe nach Hause. Ich gehe ins Mokka. Ich tanze. Ich trinke einen Prosecco, zwei Prosecco. Er ist nicht da. Ich tanze. Ich gehe nach Hause. Ich gehe ins Mokka. Ich trinke einen Prosecco. Ich tanze. Ich trinke einen Prosecco, zwei Prosecco, drei Prosecco. Der Geschichtensammler ist weg. Er kommt nicht mehr. Es vergehen 15 Prosecco - oder sind es 30? Er kommt nicht wieder. Kaum habe ich seine Geschichte erfunden, ist er weg, als hätte er nur darauf gewartet, dass jemand eine Geschichte für ihn erfindet - seine Geschichte. Ich fühle mich wie der Panther, (...) vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass (mich) nichts mehr hält. (Mir) ist, als ob es es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. (...) Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein. (abgeändertes Zitat aus: der Panther) Und dann... Ich habe ihn freudig angelacht, als er beim - wahrscheinlich - 35. geschichtensammlerlosen Prosecco - oder war es ein Bier? - wieder ins Mokka eintrat. Er hat mir zugenickt. Wo er wohl so lange gewesen ist? Vielleicht war er in Tunesien, oder er hat eine Tür gefunden. Eine Tür, hinter der sich ein unerwarteter Raum auftut...
(Siehe auch: der Geschichtensammler, ein Beitrag auf diesem Blog http://vonfeltenwelten.blogspot.com/2008/12/von-felten-welten-productions_21.html)


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Dienstag, 10. März 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Es ist nicht das Herz

Während ich wische, während ich kratze und schabe, denke ich darüber nach, ob das jetzt ein Déjà-vu ist, oder ob ich tatsächlich vor Kurzem schon einmal gewischt habe, schon einmal gekratzt habe und geschabt. Egal. Ich wische weiter. Ich wische eine Niere auf, zwei Lungenflügel. Ich kratze einen Arm vom Boden auf, einen zweiten - meine Arme, samt den Fingern. Ich finde auch meine Beine wieder, den Bauchnabel und sogar die meisten Haare sind noch da. Zuerst werfe ich alles auf einen Haufen, dann setze ich den Menschen wieder zusammen, wie ein Puzzle - eine mühsame Arbeit ist das, und so viel Blut... Ich wische, ich kratze und schabe, und dann setze ich zusammen, was einmal zusammen war. Ich setzte die Arme auf die Schultern, den Kopf auf den Hals, und dann schraube ich das Ganze auf den Rumpf. Zuerst sieht es aus, wie ein Gemälde von Picasso, aber es kommt gut. Es kommt gut. Schon fast ein Rembrandt, noch etwas blass - das Blut kommt fast zuletzt. In den Rumpf stopfe ich die Organe, jedes an seinen Platz, die Lunge, der Darm, die Nieren. Und so viel Blut... Etwas fehlt. Ich suche. Ich suche. Ich kratze und wische. Ich finde es nicht. Es ist nicht das Herz. (Das ist mir schon vorher irgendwann abhanden gekommen. Ich habe es irgendwo verloren oder verschenkt. Es wurde in eine andere Brust eingepflanzt, und da schlägt es nun - wahrscheinlich.) Nein, es ist auch nicht das Gesicht. (Das habe ich nicht verloren, noch nicht.) Die Seele ist es auch nicht. (Ich hatte nie eine.) Was mir fehlt, ist mein Verdauungsorgan. Wie soll ich leben ohne Magen? Man isst. Man frisst. Und dann muss man verdauen. Man wird voll gestopft, bis oben hin voll gestopft. Alles, was rein passt, wird rein gestopft, in den Menschen. Wie soll ich nun ohne meinen Magen verdauen? Ich habe sie alle wieder gefunden, die Körperteile, meine Körperteile. Sie waren verteilt, über den ganzen Platz verteilt. Ich habe gekratzt, gewischt und geschabt. Am Ende habe ich mich wieder zusammengesetzt - wieder einmal. Und nun fehlt der Magen... Wer hat mir meinen Magen geklaut?
Ich muss verdauen.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Mittwoch, 4. März 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Zwiegespräch

Warum erzählst du Geschichten? Du wolltest doch Bilder machen. Du bist Bildermacherin und solltest Bilder machen, wolltest Bilder machen. Aber du sitzt vor einem Buch mit leeren Seiten - das Buch mag schön sein, wunderschön, aber es ist eben ein Buch und kein Fotoapparat - und kritzelst sie voll mit schwarzen Kugelschreiberzeichen, oder blauen, die zusammen zu Sätzen werden. Hast du wirklich geglaubt, du kannst mit einer Kamera in den Händen Geschichten erzählen? Die Geschichten, die das Leben erzählt, kannst du sehen, du kannst sie miterleben, aber du kannst sie nicht festhalten, nicht mit einer Kamera. Du irritierst die Menschen mit dem kliklack nur und veränderst die Geschichten. Die Leute blicken zur Kamera, schauen in die Kamera. Sie wollen gut aussehen auf dem Bild, das du machst. Sie wollen nicht ihre Geschichte erzählen... Und dann fängst du einfach an, Geschichten zu schreiben, zu erfinden... Geschichten sind keine Bilder. Sie können Bilder entstehen lassen, ja, aber du wolltest aus Bildern Geschichten machen, nicht umgekehrt. Die Bilder sind schön, die Bilder, die du siehst. Sie sind schön in den Farben. Sie sind schön sogar in ihrer Hässlichkeit. Sie sind schön, weil sie sind. Aber sie sind nicht, um festgehalten zu werden. Sie wollen vergehen. Ergibst du dich nun vor dem Angesicht deiner Illusion? Bist du nun eine desillusionierte Geschichteneinfangerin und wechselt einfach das Medium? Zu einfach.
Zu einfach. Ich bin nicht desillusioniert. Ich ergänze meine Welt, meine Bilderwelt mit Geschichten, die Bilder entstehen lassen. Bilder mache ich auch - Bilder, die Bilder sind. Und sie erzählen auch Geschichten, andere Geschichten, wenn du genau hinsiehst. Es ist egal, was für eine Geschichte sie dir erzählen. Jeder kann seine Geschichten daraus lesen. Es geht nicht um Wahrheit. Es geht nicht darum eine wahre, eine tatsächliche Geschichte zu erzählen mit Bildern. Nur weil es Fotografien sind, heisst das nicht, dass sie etwas tatsächliches erzählen wollen. Das wäre die Illusion! Nur weil etwas wirklich geschehen ist, weil die Fotografie dieses Wirkliche zu bestätigen scheint, kann auch ein Bild nur einfach eine nicht gewesene Geschichte erzählen. Eine Kamera, meine Kamera ist auch wunderschön, wie das Buch wunderschön ist. Bild und Sätze. Sie schliessen sich aus, manchmal und dann... Sie ergänzen sich, manchmal. Beide erzählen etwas, was vielleicht nie war und vielleicht doch - egal, einfach erzählen, Bilder entstehen lassen in den Köpfen, vor allem in meinem Kopf. Aus meinem Kopf, da kommen sie her, da wollen sie hin. Darum erzähle ich Geschichten, damit ich sie wieder lesen kann, und darum mache ich Bilder, damit ich sie wieder anschauen kann. Zu einfach. Zu einfach, vielleicht.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Montag, 2. März 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ein prüfender Blick in den Spiegel

Immer wieder passiert es mir. Ich setzte mich auf öffentlichen Toiletten auf die geöffnete Klobrille - natürlich unabsichtlich. Ich setzte mich während einem prüfenden Blick in den Spiegel, und wenn ich sitze, fühle ich eine unangenehme Feuchtigkeit an meinen Pobacken. Natürlich springe ich angewidert auf... aber zu spät... Der Ekel lässt mich erschauern. In solchen Momenten wünschte ich, ich hätte - Desinfektionsmittel, oder - einen Penis. Ich würde das Klo betreten, mich vor das Pissoir stellen und den Ball ins Tor pissen (treffen würde ich bestimmt, da bin ich mir sicher). Man kann jetzt unerstaunt diese Zeilen lesen und denken, eine Frau - und erst noch mit kurzen Haaren, und sie spielt Fussball - wünscht sich ja sowieso, ein Mann zu sein. Man nennt dies nach Freud Penisneid (Der Begriff Penisneid wurde von Sigmund Freud geprägt. Die Annahme, dass Frauen das männliche Geschlecht unbewusst um dessen Penis beneiden, gilt als sowohl berühmte wie auch allgemein umstrittene These der klassischen Psychoanalyse. Anm. d. Red.). Dann macht man es sich aber sehr einfach! Man kann jetzt unerstaunt diese Zeilen lesen, und wenn man die schreibende Person - also mich - etwas besser kennt, denken, die hat ja schon oft gesagt, sie möchte im nächsten Leben ein Mann sein (hauptsächlich aus Integrationsgründen). Aber auch dann macht man es sich sehr einfach! Zum Ersten glaube ich nicht an die, ohnehin umstrittene, Penisneid-Theorie - natürlich wäre es angenehmer, beim Pissen nicht auf ein bepinkeltes Klo sitzen zu müssen, natürlich wäre es eleganter, auf der Strasse an einen Laternenpfahl zu urinieren, anstatt sich eine dunkle Ecke suchen zu müssen, um dann sitzend die neuen Schuhe zu taufen. Aber das ist auch schon alles, warum ich Männer um ihren Penis beneide, weil ich mir manchmal eine Pissverlängerung wünsche - sozusagen einen Schiffmasten, also ein Segelschiff, anstatt einem Motorboot. Grundsätzlich wünsche ich mir aber ein Motorboot, mein Motorboot... Zum Zweiten glaube ich nicht an Wiedergeburt. Das ist also eine blosse Anspielung, darauf dass es immer noch schwierig ist - manchmal - sich als Frau in einer Männerwelt, womit ich hauptsächlich Fussball meine, zu bewegen (aus Integrationsgründen, eben). Weisch de du, was es Offside isch? U süsch so Regle kennsch o, oder luegsch eifach gärn de Fuessballerwadli nache? (beides, natürlich! Anm. d. Red.) Ansonsten bin ich gerne Frau. Ich schätze es sehr, rosa tragen zu dürfen. Ich schätze es, hohe Absätze als optische Beinverlängerung benutzen zu können. Auch die Schminke ist nicht nur ein Übel! Schon manchen Pickel, einige Falten und Augenringe konnte ich unter einem Make-up verbergen. Du gsesch hüt guet us. Me gseht dir gar nid a, dass gester so lang im Usgang bisch gsi! (Merci! Das war ja auch das Ziel der Stunden, die ich im Bad verbracht habe! Anm. d. Red.) Und sogar kochen muss frau heutzutage nicht mehr unbedingt können. Mit ewas Charme und einem zuckersüssen Dessert-Lächeln verzeiht jeder Mann, die verkohlten Speckwürfel im Nüsslersalat, die verkochten Spaghetti, den versalzenen Kartoffelstock. Si hets ämu guet gmeint u probiert immer wider Mau e chli z chöcherle... Also nix mit Penisneid, aber ein nasser Po, nass von fremdem Urin... das ist halt nicht so... nicht so erfrischen, wie ein Po, der nass ist durch laues Meerwasser. Man kann jetzt unerstaunt diese Zeilen lesen und denken, die soll sich doch den prüfenden Blick in den Spiegel abgewöhnen, wenn sie sich auf ein öffentliches Klo setzt. Dazu muss ich sagen, wer das denkt, mag Recht haben...


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Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Von faulen Eiern, Pinguinen, Eisschollen und Rosen

Ungläubig blinzeln die bleichen Gesichter in das Licht. Sie sind geweckt worden. Warme Sonnenstrahlen haben ihren Winterschlaf beendet. Auf dem Platz in der Stadt stehen Stühle und Tische bereits draussen, und von allen Seiten strömen die Menschen nun ausgehungert in der Mitte zusammen. Wie kleine Tierchen haben sie, noch etwas zaghaft und schläfrig, ihre Überwinterungshöhlen verlassen, um sich endlich wieder zu treffen, endlich wieder zu sehen, wer den harten Winter überlebt hat, und wer ihm erlegen ist. Hei nei, git's di o no!? Was machsch geng? Wo bisch de du gsi? In der Höhle waren sie, in ihren dunklen Löchern haben sie geschlafen und gefressen - geschlafen, gefressen, gesoffen und gewartet. Jeder weiss das, und trotzdem fragen sie einander ungläubig, nach der Überwinterungsstrategie, nach Neuigkeiten, vorallem nach Neuigkeiten - vielleicht hat ja doch irgendjemand in der Kälte draussen sein müssen. Vielleicht ist ja doch jemand erfroren, dem Eisbären erlegen, unter eine Eisscholle gekommen, durch einem Pinguinenbiss tödlich verletzt worden, oder jemand hat im Winter Nachwuchs gezeugt - und man weiss das noch nicht... Die bleichen Gesichter werden langsam rot, von der Sonne rot, vor Erregung rot. Sie freuen sich ehrlich, sich wieder zu sehen, sie freuen sich ehrlich, wieder gesehen zu werden. Hesch gseh, da di angeri isch ja huere fett worde dä Winter! Eeeh, die dert äne, mit der wisse Sunnebrülle. Gsesch se nid? Isch si äch schwanger? Nei, di het öpe eifach nüt angers gmacht aus gfrässe... (Da hani mer ause de scho chli meh Müeh gä. I cha wenigschtens no mini Bei zeige, u me meint nid grad, es sige griechischi Süüle.) Aber das Zweite denkt sie nur und schwenkt ihre Beine elegant über den Platz, damit ihre Hüften verführerisch beben; die Sonnenbrille auf der Nase, um die Blicke von beiden Seiten unauffällig in ihre Tasche stecken zu können. Am Abend, wenn die Sonne wieder hinter den Bergen verschwindet, nagelt sie die mühsam gesammelten Blicke wie Jagdtrophäen an die Wand - und geniesst. Der Platz hat sich am Nachmittag in einen Laufsteg verwandelt. Die teuren Sitzplätze sind bereits vergeben, aber es gesellt sich immer mehr Publikum dazu. Niemand weiss mittlerweile mehr, ob er nun Publikum ist oder gerade in der Manege steht, ob er Clown ist, Esel oder ein Supertalent, ein Mannequin. Ab und zu klatscht einer Beifall, schmeisst eine Rose nach der Schönen mit den langen Haaren. Aber schon steht er durch seinen Zwischenruf im Mittelpunkt und entscheidet sich im letzten Moment - schon Mitten auf der Bühne - den riskanten Seilakt wieder abzubrechen, ist ihm die Clownnummer doch in die Wiege gelegt worden. Faule Eier fliegen auf die Bühne, gefolgt von Plüschtieren, Tomaten und eben von Rosen. Der Clown, der gerne Seiltänzer wäre, wird getroffen von zwei faulen Eiern, geworfen aus unerwarteter Nähe. Er erschrickt. Er stolpert, fängt sich aber kurz vor dem Fall wieder auf, nimmt die triefenden, stinkenden Eier und schmeisst sie zurück in die Menge, woher sie gekommen waren. Er trifft. Wen es trifft, ist egal, Hauptsache, er ist das faule Ei wieder los und kann mitlachen, ist nicht mehr der Ausgelachte. Und so geht das Treiben weiter, bis die Sonne hinter der Häuserfront verschwindet. Die roten Gesichter glühen noch eine Weile in der eingekehrten Dunkelheit weiter, dann verschwinden sie wieder in den Löchern, in den Höhlen. Aber sie kommen wieder! Sie kommen wieder, sobald die Sonne wieder scheint - sofern sie nicht von einer Eisscholle erwischt werden oder durch einen Liebesbiss eines Pinguins tödlich verletzt werden, dann kommen sie wieder, und sie werden wieder Rosen schmeissen, Rosen und faule Eier.
(Danke für die Rosen... Anm. d. Red.)


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