Montag, 16. März 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Der Geschichtensammler
- Teil 2, der Panther

Die Geschichte ist geschrieben. Die Geschichte ist erzählt - wieder drei Preise gewonnen, ein Bestseller in Tunesien. Der Geschichtensammler fühlt sich aber wie der Panther, (...) vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass ihn nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. (...) (Zitat aus: der Panther, im Jardin des Plantes Paris, Rainer Maria Rilke) Die Stäbe sind nicht Stäbe. Die Stäbe sind gesammelte Geschichten in seinen Notizbüchern, auf seinen Zetteln, in seinem Kopf, und er hat das Gefühl, vor lauter Geschichten seine eigene zu vergessen. Er will nicht mehr beobachten, will keine Geschichten mehr sammeln, will keine mehr erzählen. Manchmal geht er aus dem Haus, um sich wieder mit Hammelfleisch, gefroren und Reis einzudecken (...) dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein. (Zitat aus: der Panther). Er lässt die Bilder nicht mehr zu Geschichten werden. Er lässt sie einfach vergehen, wie er seine eigene Geschichte vergehen lässt. Viele Tage - oder sind es Wochen? - verbringt er in seiner Wohnung. Manchmal liest er, sonst starrt er die weisse Wand an und malt in Gedanken Blumen darauf, die er dann zählt, wenn das gedankliche Kunstwerk beendet ist. Aus Langeweile beginnt er auch Zigaretten zu rauchen und freut sich darüber, dass die weissen Wände vergilben - immerhin eine Farbe, denkt er. Immerhin ein schöner Hintergrund für die Gedanken-Blumen. Die alte Dame, seine aufmerksame Nachbarin, hat noch einmal einen Berliner gebracht, dann war sie weg - verstorben oder umgezogen. Er weiss nicht, wo sie ist. Eines Tages war sie einfach fort. Aus Langeweile beginnt er oft zu putzen. Er holt den grünen Plastikeimer aus dem Putzschrank und fegt die vergilbten Wände wieder weiss, schrubbt die Gedanken-Blumen weg (183 sind es insgesamt), um dann wieder zu rauchen und neue Blumen zu denken (dieses Mal 253). Sein Putzschrank befindet sich im Gang, zwischen Küche und Wohnzimmer. Die weisse Schranktür sieht genau gleich aus wie seine Zimmertüren, aber dahinter ist kein Zimmer. Da sind nur drei Besen in verschiedenen Grössen, der grüne Plastikeimer, farbenfrohe Putzlumpen, WC-Putzmittel und Allzweckreiniger. Absurd, einen Schrank als Zimmer zu tarnen, hat er schon oft gedacht, und immer wenn er die Schranktür, die aussieht wie eine Zimmertür, öffnet, hofft er dass sich dahinter ein Raum auftun würde. Er hofft, dahinter einen Lift zu finden, ein grosses Bad mit Whirlpool oder sogar einen Vergnügungspark voller lachender Menschen. Jedesmal findet er aber nur die drei Besen in verschiedenen Grössen, den grünen Plastikeimer, die farbenfrohen Putzlumpen, das WC-Putzmittel und den Allzweckreiniger, der mittlerweile schon fast leer ist vom vielen Putzen, und denkt: Absurd, einen Schrank als Zimmer zu tarnen... Er füllt den letzten Tropfen des Allzweckreinigers in den grünen Eimer und giesst heisses Wasser nach, bis es schäumt. Er liebt den weissen Schaum, weil er so erfrischend blubbert. Er fegt wieder einmal die vergilbten Wände und schrubbt die 95 grün-gelben Blumen weg, als er es klopfen hört. Er stellt den Eimer neben dem Putzschrank ab und geht zur Haustüre. Ob wohl die Klingel defekt ist? Fragt er sich und öffnet die Tür zum Hausflur. Da ist niemend. Er schaut aus dem Fenster auf die Strasse herunter. Da ist niemand. Nur der Regen platscht in Strömen vom Himmel. Es klopft wieder. Es klopft hinter ihm. Es klopft am Putzschrank. Er öffnet die Schranktür: Da steht die alte Dame, seine Nachbarin auf einer Wiese, hinter ihr weisse Schneeberge. Die Sonne strahlt vom wolkenlos blauen Himmel. Sie streckt ihm wortlos einen Nussgipfel entgegen und wendet sich zum Gehen. Der geschichtenmüde Geschichtensammler hasst die Berge. Er hasst auch den Schnee. Er hasst die Sonne, aber er ist erfreut, dass sich endlich ein Raum hinter der zimmerlosen Tür auftut und tritt ein - tritt hinaus auf die Wiese. Er legt sich in die Sonne und beginnt Blumen an den blauen Himmel zu malen, 33' 763 weisse Blumen. Dann zählt er die Wolken-Blumen und isst den Nussgipfel. Rauchen mag er nicht. Der Himmel würde ohnehin nicht gelb werden, und ausserdem ist blau ein viel schönerer Hintergrund für weisse Blumen, denkt er. Dann steht er auf und geht zurück in seine Wohnung. Er muss lange weg gewesen sein. Der grüne Eimer steht immer noch neben der Schranktür, aber anstelle des Schaums schwimmt nun grünlicher Schimmel im kalten Wasser. Es ist dunkel draussen. Er zieht die schwarze Lederjacke an und verlässt das Haus. Eine kurzhaarige Frau strahlt ihn an, als er das dämmrige Mokka betritt. Er nickt ihr zu. Er hat sie auch schon gesehen - noch nie an einem anderen Ort, als im Mokka. Sie redet immer viel, trinkt Fusel-Prosecco und manchmal fotografiert sie. Wahrscheinlich sammelt sie Bilder, denkt er. Vielleicht wohnt sie in einem anonymen Block. Auf einem Glastisch in ihrem Zimmer liegen Bücher, Notizblätter und Fotos - bestimmt viele Wolken-Bilder... Sie schreibt keine Romane. Das kann sie nicht. Sie sammelt Momente, hält Momente fest. Sie versucht, mit ihren Bildern die Zeit anzuhalten, aber das gelingt ihr nicht. Das gelingt nicht. Aus Langeweile malt sie manchmal Gedanken-Blumen an weisse Wände und (...) vom Vorübergehn der Stäbe (ist sie) so müd geworden, dass (sie) nichts mehr hält. (Ihr) ist, als ob es es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. (...) (abgeändertes Zitat aus: der Panther) Sie hat bestimmt einen Putzfimmel. Vielleicht hat sie auch einen Putzschrank, der aussieht wie eine Zimmertür. Er trinkt seine Cola aus und geht nach Hause. Er hat eine neue Geschichte gesammelt für eine Kurzgeschichte - bestimmt kein Bestseller, aber eine kleine Geschichte über eine Bildersammlerin mit einem Putzfimmel, die Gedanken-Blumen an weissen Wänden zählt (heute waren es 346) und eines Tages hinter einer Schranktüre eine sonnige Bergwiese findet, eine Bergwiese voller Farben...
Ich gehe ins Mokka. Ich trinke einen Prosecco. Ich tanze. Er ist nicht da. Ich gehe nach Hause. Ich gehe ins Mokka. Ich tanze. Ich trinke einen Prosecco, zwei Prosecco. Er ist nicht da. Ich tanze. Ich gehe nach Hause. Ich gehe ins Mokka. Ich trinke einen Prosecco. Ich tanze. Ich trinke einen Prosecco, zwei Prosecco, drei Prosecco. Der Geschichtensammler ist weg. Er kommt nicht mehr. Es vergehen 15 Prosecco - oder sind es 30? Er kommt nicht wieder. Kaum habe ich seine Geschichte erfunden, ist er weg, als hätte er nur darauf gewartet, dass jemand eine Geschichte für ihn erfindet - seine Geschichte. Ich fühle mich wie der Panther, (...) vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass (mich) nichts mehr hält. (Mir) ist, als ob es es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. (...) Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein. (abgeändertes Zitat aus: der Panther) Und dann... Ich habe ihn freudig angelacht, als er beim - wahrscheinlich - 35. geschichtensammlerlosen Prosecco - oder war es ein Bier? - wieder ins Mokka eintrat. Er hat mir zugenickt. Wo er wohl so lange gewesen ist? Vielleicht war er in Tunesien, oder er hat eine Tür gefunden. Eine Tür, hinter der sich ein unerwarteter Raum auftut...
(Siehe auch: der Geschichtensammler, ein Beitrag auf diesem Blog http://vonfeltenwelten.blogspot.com/2008/12/von-felten-welten-productions_21.html)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

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