Mittwoch, 5. November 2008

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Der Schlangentanz

Orange Körbe folgen den Damen durch die Regale - Damen mit leuchtend Migros-orangem Korb an der Leine. Wie kleine Glühwürmer streifen die Körbe umher, bleiben abrupt stehen, wenn ihr Frauchen stehen bleibt, gehen weiter, wenn wieder an der Leine gezogen wird, drehen sich im Kreis, bäumen sich auf, stossen an Regale, weichen einander aus - wie ein wilder, oranger Tanz, wie eine Karussellfahrt. Hier tanzt eine Milch mit durch die schmalen Gänge. Sie tanzt mit zum Gemüsegestell - warten, drehen, wieder warten, einen Schritt zurück, einen nach vorne. Eine Gurke, sie steigt ein. "Das isch der Schlange ihre Tanz. Si chunnt vom Bärgli abe. Si het verlore ihre Schwanz u möcht ne wider ha. Drum säg du mir, bisch du nid ou es chlises Stückli vo mim Schwanz? Hoi!" Die vier Tomaten am Stiel müssen mit ja geantwortet haben auf das Schlangen-Lied. Sie gesellen sich zu der Milch und der Gurke und fahren weiter Karussell, zu den Früchten. Als Kinder haben wir dieses Spiel manchmal gespielt, im Kindergarten oder an Geburtstagsfesten. Zuerst ist ein Kind die Schlange. Alle singen das Lied und das Schlangen-Kind muss im Kreis gehen, dann bleibt es vor einem anderen stehen und fragt, ob es nicht auch ein Stück seines Schwanzes sei. Wenn das andere Kind ja sagt, was die meisten Kinder tun - ausser der Jan, der hat immer nein geantwortet - geht die Reise weiter im Kreis bis alle Kinder - ausser Jan - in die Schlange aufgenommen worden sind. "Das isch der Schlange ihre Tanz. Si chunnt vom Bärgli abe. Si het verlore ihre Schwanz u möcht ne wider ha. Drum säg du mir, bisch du nid ou es chlises Stückli vo mim Schwanz? Hoi!" Zwei Pflaumen, vier Mandarinen, eine Kiwi und es geht wieder weiter - wahrscheinlich zum Fleischregal. Ich frage mich, ob es unter den Esswaren auch Jan's gibt, die nicht einen Teil des Schlangenschwanzes sein wollen - vielleicht die Birnen? Ich gehe auch weiter. Den Korb mit den singenden Esswaren habe ich aus den Augen verloren. Ich gehe zur Kasse, den Chipssack mit beiden Händen umklammert. Wieder eine Schlange - Eine Schlange von Damen mit orangen Tierchen. Nur eine Schlange, zehn Kassen. Wie ein Reissverschluss, der sich auf zehn Seiten öffnen lässt, trennt sich am vorderen Ende die nervöse Schlange. Sie spickt die kleinen Tierchen aus, auf die Förderbänder. Milch, Gurke und die Tomaten steigen aus, und jetzt liegen sie da, als wären sie nie mitgetanzt mit den Körben, den Karussellen, als hätten sie nie das Schlangen-Lied gesungen. Sie liegen da - und lassen sich bezahlen.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

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