Donnerstag, 11. Dezember 2008

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ein Augenwurm-Refrain

Kliklack, kliklack macht die Nikon heute wieder. Kliklack. Die Welt ist voller Bilder, die von ihr festgehalten werden wollen. Die Bilder sind wie Lieder - Refrains gibt es viele. Es gibt Kabel-Refrains. Kabel, Kabelsalate werden immer wieder von der Nikon und von der Lumix angezogen. Es gibt Toiletten-Refrains. Kliklack - ein WC aus türkisgrünen "Plättli". Kliklack - ein rosa geblumtes WC. Und es gibt Wolken-Refrains. Farbige Wolken, dichte, graue Nebelwolken, weisse Schäfchenwolken, rosa Kitschwolken für verlorene Romantiker, Regenwolken, Wolken, Wolken, Monsterwolken und Federkissenwolken. Kliklack, immer wieder kliklack. ("Die Kamera macht nicht kliklack" hat Toby gesagt. Ich habe noch einmal hingehört. Meine Nikon macht aber klicklack. Die Lumix macht zuerst pssst dann plägg, wie ein Tropf, der aus dem undichten Wasserhahn platscht. Manchmal macht sie auch pssstpssstpssst. Sie weiss nicht, was scharf werden soll und ich denke "Löu, mach doch mau plägg, süsch isch der Momänt scho verbi, woni wott festhalte!" [Meine Kameras sind alle maskulin, obwohl sie kein "Schnäbi" haben], und wenn sie dann immer noch pssstpssst macht, denke ich "Gigu!", dann macht sie extra nicht mehr plägg und lacht mich aus...)
Die Refrain-Bilder und alle anderen Bilder, die die Melodie dazwischen singen, kommen auf den MacProBookLaptop, verschwinden in verschiedene Ordner unter "Meine Dateien", "Persönliches". Dort verfallen die Liederbilder in einen Winterschlaf, der auch durch den Sommer andauert. Sie werden abgelegt, und sie werden vergessen.
Die Nikon und die Lumix halten Bilder fest, um Bilder festzuhalten, als wollten sie etwas gegen die Vergänglichkeit ausrichten, als wollten sie ein Stück Zeit festhalten. Sie halten sich krampfhaft fest an den vergänglichen Zeitliederbildern, die dann doch im Abgrund eines Computers verschwinden. Und die Bilder beginnen zu streiten. Sie streiten einen Bilderstreit, einen Machtkampf. Sie messen sich und treten vor ihre Eltern, die zweiäugige Jury - meine Augen. Sie wollen nicht zu einer sinnlosen Datei im tiefen Abgrundschaos eines MacProBooks werden. Sie wollen Bilder sein. Ist das zu viel verlangt? Sie wollen zu den privilegierten Bildern gehören, die ich - Narzisstin von Geburt an und aus Leidenschaft - meinen 294 besten Facebook-Freunden aufzwinge. Oder sie wollen gar einen Platz auf meiner Homepage ergattern. Sie wollen Lieder singen, Melodien und Refrains trällern. Aber sie werden Opfer eines brutalen Selektionsverfahrens. Sie werden Opfer der Mehrklassenbildergesellschaft und werden gnadenlos aussortiert, als gäbe es einen Bilderrassismus unter den farbigen Bildern und auch unter den schwarz-weissen Bildern.
Kliklack, kliklack und wieder werden neue Liederbilder geboren. "Es gibt schon zu viele von uns!" Schreien die Liederkinderbilder ihre Augeneltern an. "Ihr könnt doch nicht noch mehr von uns gebären. Ihr werdet uns schon jetzt nicht gerecht!" Dann hören die Nikon und die Lumix für eine Weile auf zu klicken und pläggen, für ein paar Stunden, manchmal sogar für ein paar Tage. Dann ist es still. Keine Lieder mehr, keine Ohrwurmrefrains, Augenwurmrefrains mehr, und ich werde traurig.
Plötzlich fängt ein blau-weisser Kugelschreiber an zu kritzeln. Er macht chchchtchtchtchchchchcht chtcht. und es entstehen Worte. Worte werden Sätze, Sätze werden wieder Bilder, Wortbilderlieder. Dann stimmt die Nikon wieder mit ein und die Lumix. Sie singen im Chor von Wolken, von Toiletten, von Bahnhöfen und Kabelsalaten, von Wänden, von Schnee, von Fussballtoren und wieder von Wolken. Sie nehmen sich wichtig, zu wichtig vielleicht. Aber sie machen mich glücklich.
Und sie lachen und sagen "Du bist gar keine Fotografin. Du bist eine verlorene Bilderfesthalterin, Bildersucherin, Bildersammlerin."
Ich will aber lieber eine Bildersängerin sein.
Kliklack, kliklack, pssstpssspssst. "Gigu!"


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

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