Samstag, 13. Dezember 2008

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Haselnuss-Wiederholung

Ich bin um 9 aufgestanden. Eigentlich habe ich den Wecker - besser gesagt den Handywecker - auf 8 gestellt, aber ich bin vom "Fünfminüteler", zum "Zehnminüteler", zum "Halbstündeler" und an Wochenenden zum "Stündeler" (...?) geworden. Nach einer Stunde stehe ich aber dann wirklich auf, egal, ob ich Lust habe oder nicht, egal, ob ich Kopfschmerzen habe oder nicht. Ich stehe auf. Ich habe die graue Trainingshose angezogen, die schwarze Mütze mit Seitenklappen über den Ohren, endend in zwei Wollzöpfen in der Höhe der Brust, aufgesetzt, damit man meine zerknautschte Frisur nicht sehen kann (blöd sieht's zwar trotzdem aus, aber egal...), weil ich die Wäsche in den Keller bringen wollte und eventuell auf einen Bewohner dieses Hauses treffen könnte. Ich habe mir nicht einmal die Zähne geputzt. Ich habe einen Kaffee gemacht, einen Kaffee mit zwei Zuckern. Ich habe den Laptop eingeschaltet und irgendwas gesucht. Ich weiss nicht mehr was. Das ist auch nicht so wichtig, weil es nur eine Angewohnheit ist, eine Angewohnheit, eine Wiederholung, wie man jeden Morgen im Bus an denselben Platz sitzt. Eine Angewohnheit ohne Sinn und Zweck. Computer an, Kaffeetasse neben den Bildschirm stellen und suchen, lesen, schauen, schreiben bis der Kaffee kalt ist. Dann einen Schluck und der kalte, süssbittere Kaffe ist weg. Ich bin kein Geniesser. War ich noch nie.
Die Sonne hat in meine Stube geschienen und ich bin auf den Balkon gegangen, mit einem weiteren gezuckerten Kaffee in der Hand und habe in den Schnee geschaut, der durch die grelle Sonne in meine geschwollenen Augen geblendet hat. Zwei Kurzgeschichten aus Sofareisen vom stillen Has. Ich habe die Sofareisen schon einmal gelesen, aber das ist eine weitere Angewohnheit von mir, Bücher - wenn ich sie denn gut gefunden habe - zweimal zu lesen. Kurzes Blättern in der Zeitung, die ich mir beim Gang in die Waschküche aus dem Briefkasten geholt habe, ein grosser Schluck bittersüssen Kaffee. Er war schon wieder kalt. Aber ich bin ja kein Geniesser.
Dann habe ich mich kurz auf das Sofa gelegt, das mausgraue Riesensofa. Ich liebe dieses Sofa. Es gehört leider meiner Schwester. Wenn wir irgendwann nicht mehr zusammenwohnen werden, muss ich mich von ihm trennen, habe ich gedacht und habe die Augen geschlossen, um mich meinen pulsierend blitzenden Kopfschmerzen hinzugegeben. Ich habe über den doofen Artikel in der Zeitung nachgedacht und mich ein bisschen geärgert. Dann habe ich entschlossen, doch die Augen zu öffnen, nur ein bisschen, und durch die Wimpern auf ein verschwommenes Bild meiner Wohnstube geschaut. Ich sah viel Weiss, links einen grünen Klecks, der die Zimmerpflanze darstellen soll, einen anthrazitfarbenen, rechteckigen Fernsehbildschirm, das rosa Hello-Kitty-Telefon und die überwiegend blaue Weltkarte. Schön, habe ich gedacht. Schön leer. Weiss und Leere lässt Platz für Interpretation, hat auch die Frau im doofen Zeitungsartikel gesagt. Besser, ich widme mich anderen Gedanken, habe ich entschieden, und mich gefragt, was ich wohl über mich denken würde, wenn ich zurück in die Vergangenheit gehen könnte, wieder fünf wäre und mich als 28jährige betrachten könnte. Meine kurzen Strubelhaare, die ich heute so liebe, hätte ich bestimmt gehasst, damals. Ich wäre wahrscheinlich erschrocken und hätte vielleicht sogar geweint, bei der Vorstellung, dass ich einmal so aussehen würde... Meine Wohnung, ich glaube, die hätte ich schon mit fünf gemocht. Die ist voller Gegensätze, und Gegensätze haben mich schon immer angesprochen. Meine Arbeit. Meine Arbeit... Was ist überhaupt meine Arbeit? Putzfrau, Fotografin, Künstlerin oder Dozentin? Dozentin klingt cool, irgendwie. Es klingt erfolgreich. Ich müsste mir gegenüber ja nicht erwähnen, dass ich nur zweimal die Woche und nur ein Semester pro Jahr unterrichte... Aber Dozentin klingt auch nach Wollkleidern, was ich gehasst habe, und es klingt nach einer strengen, kurzhaarigen, frustrierten alten Jungfer... Dann vielleicht doch lieber Künstlerin... Dass klingt gut, aber schon eine Fünfjährige weiss, dass Künstler komisch sind und selten Geld haben. Ich habe mir keine konkreten Gedanken gemacht, was ich einmal werden will, mit fünf. Einmal wollte ich Ärztin werden, dann Friseuse, Astronautin, Kindergärtnerin, Grossmutter... So steht es in den Poesiealben und in den Tagebüchern, die ich kürzlich ausgegraben habe. Ich wollte, dass ich einmal glücklich bin. Wer will das nicht? Ich bin meinem Herz gefolgt, glaube ich. Und da stehe ich heute - oder besser gesagt, da liege ich heute, auf dem mausgrauen Sofa... Ich habe mich dann doch entschieden, die Augen ganz zu öffnen und bin aufgestanden. Ich bin ins Bad gegangen, habe mir die Zähne geputzt. Was könnte ich heute anstellen? Samstag. An Samstagen muss ich nie etwas. Das habe ich mir so eingerichtet, eingeredet. Ich könnte lesen. Ich könnte knipsen. Ich könnte joggen. Ich könnte putzen. Putzen klingt aber nach Müssen und Sport irgendwie auch, Knipsen sowieso. Das ist ja mein Beruf, einer meiner Berufe... Am Abend ist die Vernissage. Ich mag keine Vernissagen - um nicht zu sagen, ich hasse sie. Was ich wohl anziehen soll, habe ich mich gefragt. Mein Outfit stand schon fest im November, als ich erfahren habe, dass ich ausstellen kann. Zuerst die Freude, dann die Kleidung. Ich habe mir damals neue Schuhe gekauft, im November - schwarze Stöckelschuhe, wunderbare Schuhe! Schuhe, die richtig glücklich machen! Mit dem Entscheid für die Schuhe habe ich dann vor meinem inneren Auge die dazu passende Hose und das Oberteil gesehen. Aber es hat Schnee heute. Ich bin Künstlerin, Fotografin, Dozentin, Putzfrau, was dazu geführt hat, dass ich kein Auto besitze. Ich muss zu Fuss gehen. Mit 10cm hohen Stöckelschuhen kann ich nicht zu Fuss zur Vernissage gehen, zu mindest nicht bei Schnee und ich habe keine Lust mein Schuhwerk vor dem Kunstmuseum auszuwechseln. Also muss ein neues Outfit gefunden werden. Zuerst Schuhe auswählen, dann weitersehen mit dem inneren Auge. Aber die Wahl für den passenden Schuh... Das braucht Zeit. Und es braucht Lust am Umziehen, einmal, zweimal, dreimal und das Ganze wieder von vorne. In der Wohnung über mir habe ich stampfende Schritte gehört, dann das Surren eines Staubsaugers. Ich mag dieses Geräusch nicht, besonders wenn ich Kopfweh habe, macht mich das irgendwie aggressiv. Vielleicht sollte ich einen Spaziergang machen durch die verschneiten eismatschigen Strassen, habe ich überlegt. Das macht den Kopf frei für den Schuhentscheid und ich könnte vom Staubsaugerlärm flüchten.
In den felligen Winterstiefel stapfe ich nun abwechslungsweise durch Matsch und rutsche über Eisflächen. Ich mag die Geräusche, die die Schuhe auf den verschiedenen Unterlagen erzeugen und ich mag das Spritzen des dreckigen Matschs. Als kleines Mädchen bin ich von Pfütze zu Pfütze gesprungen und habe mich an den Tönen und am Spritzen erfreut, immer wieder und wieder. Wiederholungen, erfreuen. Warum mag ich eigentlich Vernissagen nicht, und warum mache ich mir dann doch immer so viele Gedanken, was ich anziehen soll? Ich mag nicht, dass man lächeln muss. Wenn ich aber dann da bin, dann lächelt es mir von selber. Trotzdem übe ich das Lächeln manchmal vor dem Spiegel, verziehe die Mundwinkel zu einer Grimasse. Ein Lächeln vor dem Spiegel gelingt mir nicht. Ich strecke mir die Zunge heraus, jedes Mal. Wiederholungen... und wenn ich dann da bin lächelt es mir von selber, weil ich mich freue. Vielleicht ist es einfach "cool", sich nicht zu freuen, zu denken "Scheissvernissagen", vielleicht... Die Stasse biegt in die Allee ein. Ein rotes Auto spitzt Matsch auf alle Seiten, fffrrrrmmmmffffffff. Dann die Aare. Di schöni grüeni Aare. Ich überquere die Hängebrücke. Die eisige Kälte umgibt mein Gesicht. Die Kopfschmerzen sind weg. Die Gedanken fliessen frei. Sie fliessen wie die Aare. Di schöni grü... Die Gummisohlen meiner Stiefel zerdrücken die Eisüberzüge auf den Kieselsteinen. Ein angenehm knackendes Geräusch, wie wenn Haselnüsse geöffnet werden. Haselnüsse. Ich glaube, ich ziehe die haselnussbraunen Wildlederstiefel - es sieht so aus, als wäre es Wildleder. Ist aber in Wirklichkeit irgendwas anderes - mit den Kordeln an der Rückseite an. Die passen gut. Die passen zu heute. Ich gehe nach Hause. Was mache ich heute noch, an einem Samstag? Ich schaue in den Spiegel. Rote Nase. Rote Wangen. Ich verziehe mein Gesicht zu einer Lächel-Grimasse und strecke dann die Zunge heraus. Dann lege ich mich aufs mausgraue Sofa, schaue an die weisse, leere Decke. Die lässt Raum für Interpretation, denke ich und male in Gedanken Bilder auf die weisse Interpretationsdecke. Ich ziehe heute die haselnuss-braunen Stiefel an. Die passen gut. Die passen zu heute. Ich muss lächeln, kein Grimassen-Lächeln diesmal, ein Glücklich-Lächeln. Und da liege ich nun, auf dem mausgrauen Sofa, zufrieden und denke, Wiederholungen sind gut, immer noch, immer wieder...


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

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