Montag, 19. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Von Zahlen und Namen

Sag mir nicht, wann du Geburtstag hast. Ich will es nicht wissen! Nein, natürlich mag ich dich! Ich... Nein, deine Telefonnummer will ich auch nicht aufschreiben. Ich schreibe lieber deine Adresse auf, vielleicht einfach ohne Hausnummer, wenn es dich nicht stört - oder du kannst die Telefonnummer selber in mein Handy eintippen und gleich unter deinem Namen speichern. Ich rufe dich an - bestimmt! Ich will auch nicht wissen, wie spät es gerade ist, geschweige denn, welchen Tag wir heute haben. Ich habe dich heute getroffen. Heute, jetzt - das reicht vollkommen, und deinen Namen, den würde ich gerne erfahren. Wie viele Geschwister du hast und wie alt die sind, nein, das will ich auch nicht wissen. Nicht, dass es mich nicht interessieren würde, aber sag mir lieber wie sie alle heissen. Die Namen kann ich wieder vergessen, wenn nicht heute, dann morgen. Auch wenn sich dein Name nicht in mein Herz einbrennen wird, die Zahlen werden es tun. Sie werden sich in mein Gehirn einbrennen, wie sich eine hässliche Farbtätowierung in die Haut einbrennt und vernarbt. Ich werde sie loswerden wollen - wie alle diese Scheisszahlen in meinem Kopf! 10.10.2000, 31.7.1997, 14.9.2001, 28.6.1984, 26.5.1995, 5.5.2006, 7.4.2008, 9.7.1994 und dann noch dieser blöde 7.7, 19.1.1980, 9.6.1980, 20.7.1927, 24.12.1976, 1.9.1981, 20.4.1979, 6.6.1979, 6.11.1978, 19.9.1953, 3.12.1951, 15.1.1980, 11.7.1981, 21.9.1979, 437846143747454371309.... Die Zahlen im Kopf - Zahlen in Farbe - wollen nicht weg. Sie verfolgen mich schon mein ganzes Leben. Telefonnummern von Freunden, Telefonnummern von Freunden, die umgezogen sind, Geburtsdaten von Freunden, Geburtsdaten von Freunden, die nicht mehr Freunde sind, Hausnummern, Autonummern, Daten, Zahlen, sinnlos... Mein Erstes Mal, mein erster Kuss, die Reisedaten nach Kuba, Costa Rica, in die Türkei und zurück, Geburtstage und noch mal Geburtstage. Alles vergangen, alles egal... Die Zahlen bleiben unlöschbar in meinem Gehirn abgespeichert - und ausserdem noch in Farbe. Rote Zahlen, gelbe Zahlen, Zahlen in Grün, Zahlen in Rosarot... Manche Zahlen sind nur noch Zahlen. Sie sind zwar farbig, haben aber während der Jahre in meinem Kopf die Zuordnung zu ihrem Ereignis verloren. Sie schwirren und irren durch die endlosen Bahnen meiner Gehirnwindungen, treffen auf bekannte, ereignisreiche und somit stolze Zahlen und wissen selber nicht mehr, wer sie sind. Trotzdem sind sie nicht bereit zu gehen. Sie irren weiter, und immer, wenn sie auf Zahlenkombinationen treffen, die ihnen ähneln, schreien sie. Sie schreien, sie seien auch noch da. Sie seien obdachlose Zahlen. Sie seien verloren gegangen, gefangen in meinem Kopf, und sie suchen nach Erinnerungsfetzen oder nach neuen Ereignissen und Bedeutungen, denen man sie zuordnen könnte. Schwachsinn, sage ich. Wie will 22.5.1986 mit einer neuen Bedeutung ausgestattet werden...? Verschwinden sollt ihr! Also, bitte, versuch mich zu verstehen. Keine neuen Zahlen! Auf keinen Fall! Ich will nicht die Schwiegertochter deiner Mutter werden. Sie darf mich ruhig hassen, dass ich ihren Geburtstag nie wissen werde. Ich will ihn nicht wissen! Ich kann sowieso nicht backen, und Weihnachten gibt es ja auch noch - egal, ob du am 24. oder 25.12 Weihnachten feierst, daran werde ich denken. Ich kann Pralinées kaufen, für 14,80 beim feinen Beck um die Ecke. Verrat mir bloss deinen Namen. Ich werde versuchen, mir den zu merken - bis morgen - und ich werde ihn eingeben in mein Handy. Das wird deine Nummer wählen. Ich werde mich melden - bestimmt. Dein Name wird sich aber nicht in mein Herz brennen - also bitte keine Zahlen, keine Zahlen mehr...
Rolf...? Und dein Vater heisst auch Rolf? Ja, das kann ich mir merken, denke ich...
(siehe auch: "Für alle Rölfe", einen Beitrag auf diesem Blog vom 5.11.2008 und siehe Synästhesie: http://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie, http://www.neon.de/kat/politik/denksysteme/1073143615/521.html)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

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