Donnerstag, 15. April 2010

Über Löcher und die Liebe - für Thomas, der wissen wollte, was Liebe ist

Hunger ist ein Gefühl, als wäre anstelle eines Organs ein Loch, und wenn irgendwo ein Loch ist, wo keines sein sollte, dann stopft man es. Man nimmt passendes Material und füllt es in das Loch, bis da, wo das Loch war, keines mehr ist. Ein bisschen Brot, ein Stück Käse, zwei getrocknete Tomaten, eine handvoll Nüsse und weg ist das Loch.
Ich habe nie gerne gekocht. Am liebsten habe ich vor dem Kühlschrank zuerst meinen Teller, dann immer noch vor dem Kühlschrank meinen Magen gefüllt.
Manchmal hat jemand für mich gekocht. Meine Schwester, meine Mutter, oder er hat gekocht. Natürlich hat dieses warme Magenstopfmaterial um Längen besser geschmeckt, als der kalte Kühlschrankemmentaler und das vertrocknete Brot. Und ich habe auch immer gerne zugeschaut, wenn sie gekocht haben. Das Messer blitzte auf und ab und klopfte auf den Tisch, das siedende Wasser liess eine Nebellandschaft in der Küche entstehen und die Fischaugen sprangen aus den Augenhöhlen, als wären es Gummibälle.
Manchmal habe ich dann die Zwiebeln geschnitten, bis mir das Augenwasser die Sicht nahm oder eines meiner Fingerbeeren blutete. Dann habe ich wieder zugeschaut, und manchmal habe ich dann fotografiert. Ich habe viele Bilder, wie Essen zubereitet wird - fast so viele wie Wolkenbilder -, weisse Flüssigkeit, die in einen silbernen Topf läuft, Ölaugen vor schwarzem Teflon-Hintergrund, Hände, die geschickter als meine Zwiebeln in kleine Würfeln zerteilen und rote Krebse auf gelbem Tischtuch. Dann habe ich den Tisch gedeckt.
Und es hat geschmeckt - sehr gut hat es geschmeckt.
Irgendwann war er aber weg und hat nicht mehr für mich gekocht, und ich habe mich ausschliesslich vor dem Kühlschrank ernährt - mit Ausnahmen natürlich.

Die Bernsteinhonigaugen strahlen golden. Sie strahlen besonders golden, wenn er am Essen ist, wenn er ein Entrecôte zerteilt und den Bissen in seinen Mund schiebt. Und ich mag seine Augen, besonders wenn sie golden strahlen. Also muss ich kochen, dachte ich. Ich muss einfach kochen, dann strahlen sie schön golden.
Mit einem Kochbuch im orangen Einkaufskorb irrte ich durch die Regale, bis ich alle Zutaten hatte, die ich zum Lochfüllmaterial und Strahleaugenerzeuger verarbeiten wollte.
Mittlerweile habe ich bestimmt schon fünfzehnmal gekocht - Gnoggi mit weisser Sauce und ein Fleisch. Wein gibt es dazu, roter Wein in bauchigen Gläsern.
Und ich glaube, lieber Thomas, ich glaube, das muss Liebe sein, dass ich koche und er seine Augen golden für mich strahlen lässt, wenn er meine weichen Gnoggi verdrückt, das muss Liebe sein...

3 Kommentare:

HumanPlugin hat gesagt…

schön!

Anonym hat gesagt…

Hallo Regine
habe mich von diesem Beitrag für meinen Post http://theya.wordpress.com/2010/07/14/wenn-du-schon-fragst/ inspirieren lassen. Thanks for sharing - und wann geht's hier weiter :-)

Anonym hat gesagt…

wir haben übrigens mal zusammen die Schulbank gedrückt - langelange ist's her... 1996?