Mittwoch, 29. September 2010

Grüss mir das Meer

Damals - ich glaube, es war im Herbst, irgendwann im Herbst - als ich noch ein Fisch war, umgeben vom Dröhnen der Wale, obwohl keine Wale da waren, habe ich die Sehnsucht gespürt.
Ich war ein kleiner Fisch und wollte so gerne ein Wal sein, ein grosser Wal oder ich wollte Beine haben. Ich träumte davon, wie es vorher war und davon, wie es sein würde, wenn ich kein Fisch mehr sein werde.
Du hast mich nie verstanden und sagtest, ich würde immer nur daran denken, was war und was kommen würde. Ich sagte, dies sei die Gegenwart - die Gegenwart sei immer nur das, was war und was kommen würde.
Als mir dann kleine Beine wuchsen, war ich erfreut. Ich glaube sogar, dass ich glücklich war, irgendwie. Als dann die Beine lang genug waren, schritt ich langsam aufs Land.
Ich habe mich nicht umgedreht, bin einfach gegangen. Ich glaube, du hast mir hinterher geschaut. Ich weiss es aber nicht.
Ich liess die Luft in meine Lungen strömen und fühlte mich frei. Die Sehnsucht war weg.
Jetzt ist wieder der Herbst da. Die Ahornblätter färben sich schon ein bisschen braun und die Kastanien werden reif. Die Sonne scheint nur noch schwach durch den feinen Nebel.
Es ist, als würde ich das erste Mal Herbst erleben, obwohl ich weiss, dass dem nicht so ist.
Ich fühle wider diese leichte Sehnsucht und denke zurück, wie es war, als ich noch ein Fisch war, im Meer bei dir, obwohl du nicht da warst und das Dröhnen der Wale hörte, obwohl keine Wale da waren, und wie es wäre, wenn ich wieder ein Fisch wäre.
Vielleicht hattest du Recht, und die Gegenwart ist nicht nur das, was war und was sein wird. Sie ist etwas dazwischen, das ich nicht fassen kann - wahrscheinlich nie. Aber immerhin ist die Sehnsucht wieder da, immerhin.
Sehnsucht ist schön. Sehnsucht ist schön, egal wonach, denke ich, und ich denke an dich.
Vielleicht fällt ein braunes Ahornblatt zu dir ins Meer - obwohl du nie im Meer warst, aber du warst im Herbst, glaube ich - und grüsst dich von mir.
Dann grüss mir das Meer, grüss mir das Meer und die Fische, und sag ihnen, dass Gegenwart etwas anderes ist, als das, was war und das was sein wird. Sag ihnen das!

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