Mittwoch, 18. Februar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Heimweh-Honigschnitten und der Versuch, eine noch neuere Welt zu entdecken

Sie schlief nachts, eingewickelt in die rot-weiss-karierte Decke der Kindheit, den erholsamen Bergluftschlaf - ein wortloser, ein tonloser Schlaf, nur Bilder. Am Morgen schmierte sie sich die Heimweh-Honigschnitten, die früher schon zum Verschlingen auf dem Schneewittchen-Teller bereit lagen, wenn sie sich an den lackierten Holztisch setzte. Es war immer noch derselbe Holztisch, aber gegenüber standen leere Stühle, wo einmal die Grosseltern gesessen hatten. Sie mochte sich keinen einsamen Filterkaffee kochen und schlürfte stattdessen eine kalte Schokolade. Als sie die Langlaufskier aus dem Keller holte, knarrten die alten Holzdielen, als wollten sie ihr versichern, dass nicht ganz alles vergänglich sei. Aber das glaubte sie ihnen schon lange nicht mehr, sagte aber nichts. Die Luft war kalt, der Morgen noch jung. Es fielen vereinzelte Schneeflocken vom Himmel. Sie stapfte durch die Schneedecke Richtung Dorf, die Skier geschultert. Draussen in der Kälte fühlte sie sich frisch und freute sich darauf, die menschenleere Landschaft zu durchqueren. Sie fühlte sich beim Langlaufen, als wäre sie Entdeckerin einer fremden Märchenwelt, Erobererin der Einsamkeit. Sie hörte nur die Skistöcke rhythmisch in den Schnee stechen, dazu das gleichmässige Gleiten der Skier und ihren keuchenden Atem. Sie war nicht so schnell. Deshalb mochte sie lieber in aller Frühe losziehen, wenn die anderen Touristen noch schliefen oder sich gerade aus der wohligen Wärme des Schlafes zu lösen versuchten. Sie wollte nicht von grauhaarigen Männern überholt werden, auch wenn sie trainiert, mit dicken Muskelwaden in violetten Leggins verpackt, waren. Sie wollte das Gefühl haben, schnell zu sein, auch wenn dies eine Illusion zu sein schien, wurde sie doch oft von anderen Laufenden überholt - deshalb mochte sie den Morgen. Sie wollte die Entdeckerin sein, Entdeckerin des Tages, Erobererin der frühen Schneesonne. Sie wollte keinen Verfolger hinter sich spüren, der sie zu schlechter Einteilung ihrer Kräfte trieb - nur sich selber spüren, die eigene Energie, und mit dem eigenen Körper ringen, das Aufgeben bezwingen. Sie überquerte den Dorfplatz und verscheuchte die letzten süss-bitteren Erinnerungsfetzen, die sich heute Morgen wie statisch aufgeladene Ballons an sie geheftet hatten, aus ihren Gedanken. Der Dorfplatz war, wie erwartet, fast menschenleer. Die Bäckerei war geöffnet. Nach der Eroberung der Märchenlandschaft wollte sie sich ein frisches, ofenwarmes Brötchen oder einen Gemüsekuchen gönnen - aber erst nach dem Kampf die Belohnung, dachte sie. Sie klickte die Schuhe in die Bindung ein und glitt den kleinen Hügel herunter, der sie zum nahe gelegenen Seeli bringen würde. Sie fühlte sich mit den Stöcken in den Fäusten tatsächlich wie eine Konquistador aus dem 16. Jahrhundert auf der Suche nach einer noch neueren Welt. Vor dem See überquerte sie die Holzbrücke. Nur noch wenige hundert Meter abwärts, dann würde der anstrengende Anstieg beginnen, der sich schlängelnd zwischen lichten Tannwäldern durch das Tal zog. Sie war heute erstaunlich schnell unterwegs. Sie bog in den ersten Waldteil ein und hörte neben dem schleifenden Geräusch der Skier im gefrorenen Schnee und dem Einstecken der Stöcke schon ihr Herz Richtung Hals schlagen. Sie atmete tief und befreit, im Kampf mit ihrem müde werdenden Körper und arbeitete sich Stück für Stück in die noch neuere Welt vor. Vor ihr lag sie, die noch zu erobernde Schneewelt. Schneeflocken glitzerten in der zaghaften Nebelsonne auf. Gerade wollte sie einen zufriedenen Seufzer ausstossen, da hörte sie näher kommendes Gleiten im Schnee. Sie trieb ihre Arme schneller nach vorne und zog sich immer rascher voran. Das Schleifen kam unweigerlich näher. Sie hörte schon ein immer lauter werdendes Keuchen. Sie kämpfte. Sie wollte sich nicht kampflos geschlagen geben. Sie wollte das Territorium nicht kampflos aufgeben. Ihre Grenzen waren aber erreicht. Das Herz pochte im Hals, ihr Gesicht glühte und ein nasses Rinnsal suchte sich einen Weg über ihren Rücken. Sie gab auf. Sie musste. Als würde sie die Waffen niederlegen, schlug sie ein langsameres Tempo ein und liess sich überholen. Zuerst sah sie einen Windhund, dann einen zweiten... Es waren deren fünf, an der Spitze der Leithund und am Ende ein Schlitten. Der Mann auf dem Gefährt grüsste freundlich. Sie hatte angehalten und schaute nun dem davon eilenden Zug hinterher. Als sie sich wieder in Bewegung setzte, dachte sie, Windhunde. Windhunde, schnell wie der Wind, wahrscheinlich. Und ich wollte gegen diese schnellen Tiere kämpfen...Entdeckerin ist besser als Erobererin. Ich sollte wieder pazifistischer Langlaufen. Gemütlich und ruhig atmend bestieg sie die zweite Hälfte des Anstiegs und glitt zum Restaurant am Talende, wo sie sich, wider ihrer strickten Regel nach dem Kampf die Belohnung, Kaffee und Gemüsekuchen gönnte - um der Friedlichkeit Willen.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

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