Dienstag, 14. Dezember 2010

Nur eine Antwort

Was für eine Frage.

Ich werde eine passende Antwort finden, eine erfinden, für dich.

Ich weiss es nämlich nicht. Ich weiss es nicht. Das heisst, ich habe einfach noch nie darüber nachgedacht.

Ich weiss eigentlich nur, dass es nicht viel gibt. Es gibt nicht viel, was ich brauche. Eine Tasche reicht. Eine Tasche oder sogar nur ein Beutel. Darin meine Kamera, die Sonnenbrille und noch ein bisschen Geld. Dann vielleicht noch ein Buch. Ja, ein Buch. Eines zum lesen und ein Notizbuch für meine Gedanken. Zum notieren brauche ich noch einen Stift, oder zwei vielleicht, einen zweiten für den Notfall.

Aber eigentlich brauche ich vor allem die Kamera. Eigentlich nur die Kamera und vielleicht noch einen Film.

Ich kann nicht fotografieren. Eigentlich kann ich nicht fotografieren. Aber ich mag Bilder, und ich mag die Kamera. Ich mag meine Kamera. Sie ist schön. Schöner vielleicht noch als die Bilder, schöner als die Bilder, die sie macht – das ganz bestimmt. Aber vielleicht ist sie auch schöner als alle Bilder, schöner noch als alle Bilder, die es gibt und je geben wird – vielleicht.

Wenn ich dann gehe mit diesem Beutel, ein crèmfarbener Stoffbeutel übrigens, oder eierschalenfarben, wird mir nichts fehlen, nichts ausser dem Rauchen vielleicht. Früher hätte ich beim Gehen geraucht, ich habe immer geraucht, wenn ich gereist bin, und immer wenn ich gegangen bin.

Sie sass an der Bushaltestelle mit einem crèmfarbenen Beutel, nur einem crèmfarbenen Beutel und einer Zigarette. Obwohl sie nur diesen Beutel bei sich hatte, wusste ich, dass sie nicht zurückkommen würde. Ich war mir sicher irgendwie, dass sie einfach ging.

Eine Zigarette – das schreibt sich so gut, finde ich, und es liest sich gut, nicht? Es liest sich besser als ein Text ohne Zigarette, finde ich. Da ist es wie mit dem Wetter. Regen und Nebel, Herbst liest sich besser als Sonnenschein. Es klingt interessanter, wenn eine Szene im Regen spielt, oder noch besser im Nebel, am Abend.

Es regnete, als sie an der Bushaltestelle sass, nur einen Stoffbeutel in der Hand und eine Zigarette in der anderen.

Es gibt Dinge, die sich einfach besser lesen als andere. Rotwein zum Beispiel oder staubige Zimmer lesen sich besser, als saubere Zimmer und milchtrinkende Menschen.

Stell dir ein Büchergestell vor mit verstaubten Büchern. Ein Mann der rauchend das Zimmer betritt. Vielleicht lässt du die Szene sogar noch an einem schummrigen Abend spielen, in deinem Kopf. Die Zigarette klemmt zwischen seinen Lippen und in der Hand hält er ein halbvolles Glas Rotwein.

Das sind Klischees, klar! Aber trotzdem. Es liest sich nun einfach einmal besser als Geschichten mit kaltem Milchshake auf einer einer sonnigen Nichtraucherterrasse. Deshalb sind es ja auch Klischees, die alten Bücher, der Wein und neblige Strassen oder? Man riecht dann etwas, wenn man liest. Das tut man doch, findest du nicht?

Traurig eigentlich, da magst du Recht haben, dass sich alles Depressive, alles Ungesunde besser liest, als das, was ich gelebt (und nicht gelesen) eigentlich mag. Sonnenschein und Glücklichsein. Nun gut, Rotwein mag ich wirklich und Nebel zumindest manchmal auch. Aber staubige Zimmer wiederum mag ich gar nicht.

Ich gehe aber dann sowieso ohne Zigarette, nur mit dem Beutel. Und mir wird es egal sein, ob es regnet oder nicht. Und mir wird nichts fehlen, ausser eben der Zigarette.

Ich und die Kamera.

Besser wäre wahrscheinlich, noch eine zweite Kamera mitzunehmen, wenn man so lange weg gehen will. Das wäre vernünftig. Ja.

Ich bin aber nicht so vernünftig.

Also, ich und die Kamera.

Wenn der einzige Film voll ist, und ich kein Geld mehr habe für einen neuen, werde ich einfach ohne Film fotografieren. Ich fotografiere nur um des Fotografierenswillen. Die Bilder sind sowieso in meinem Kopf, und du siehst nur das, was du glauben willst. Dazu braucht es meine Bilder nicht. Es reicht, wenn ich sie direkt in meine Erinnerung fotografiere, dir erzähle, was ich sehe und die schlechten Bilder gleich automatisch lösche, alles in meinem Kopf.

Als Kind habe ich auch immer ohne Film fotografiert. Ich hatte eine Kamera, eine Kodak-Instamatic, aber keinen Film.

Dann bin ich Fotografin geworden, und ich habe auf Film fotografiert, zwangsläufig. Aber wenn ich gehe, um nicht wieder zurück zu kommen, werde ich bestimmt nicht mehr auf Film fotografieren, ganz bestimmt nicht. Ich werde auch nicht digital fotografieren. Ich werde einfach Bilder aufnehmen, direkt in meinen Kopf.

Da ist nämlich schon eine grosse Sammlung von Fotos, ein richtiges Archiv, sortiert nach Namen. Architektur zum Beispiel oder Zugbilder im Nebel, Krane vor blauem Himmel, besonders viele mit roten Kranen, so nebenbei, und Menschen.

Ich könnte schon eine grosse Ausstellung machen mit diesen Bildern. Eine fiktive Ausstellung, im grössten Museum. Welches ist überhaupt das grösste Museum der Welt? Der Louvre? Egal. Ich würde das grösste Museum sowieso füllen – wahrscheinlich würde ich sogar mehr als ein Museum füllen, zweimal den Louvre und einige Galerien dazu. Am besten eignen würden sich Galerien in nächster Umgebung des Doppel-Louvres.

Ich würde ersteinmal jedem Bild die optimale Grösse zuordnen, je nach Wichtigkeit und Qualität. Unwichtige Bilder, wie blutrote Sonnenuntergänge über Palmengesäumten Stränden wären klein. Sie würden aber auch hängen, weil sie zur Ergänzung ganz wichtig sind, aber sie wären klein, 13x18cm ungefähr, und die wichtigen Bilder wären riesig.

Die Wolkenbilder wären riesig, vielleicht nicht einmal, weil sie so gut sind, sondern vor allem, weil ich sie besonders mag, und weil ich davon besonders viele habe. Die wären noch grösser als Plakate, die wären etwa 3x4.5 Meter. Ich würde aus all diesen Bildern eine Collage gestalten, so à la Tillmanns, einfach noch besser natürlich und grösser vor allem. Sogar an den Decken würden Bilder hängen, und am Boden würden sie liegen.

Ich würde eine kleine Welt aus Bildern bauen. Aus meinen Bildern eine kleine Doppel-Louvre-Welt. Gar nicht so klein eigentlich.

Das gäbe aber wahnsinnig viel zu tun, dieses fiktive Archiv zu durchsuchen und neu zu ordnen, mein Gott! Vielleicht würde ich dabei sogar noch auf vergessene Bilder stossen, aber wahrscheinlich würde keine Ewigkeit reichen, das zu durchsuchen, vielleicht zwei Ewigkeiten, ja. Aber das gibt es ebenso wenig wie zwei Louvre.

Deshalb bleibe ich beim Archiv, dem Kopfarchiv. Besser ich bleibe erst einmal dabei. Das gäbe auch schon genug zu tun, und ich würde es ausserdem gerne tun.

Mein Archiv würde ich dann also erweitern, vergrössern. Die bestehende Arbeit anfangen zu beenden, wenn ich gehen würde.

Ich glaube sowieso, dass Mensch immer etwas tun muss, dass er gerne eine Aufgabe hat. Wenn er eine hat, denkt er immer, er möchte keine haben. Nichts tun ist schön. Hat er aber keine, fühlt er sich dann nutzlos. Das Hans-im-Schneckenloch-Prinzip.

Deshalb. Ich würde mein Archiv erweitern, wenn ich einfach gehen könnte.

Ich würde dich dann anrufen wollen, bestimmt. Spätestens wenn das Archiv fertig wäre, würde ich dich anrufen, um dir zu sagen, dass ich nun fertig bin mit allen Bildern. Und dann könnte ich dir auch gleich noch sagen, ob ich die Gegenstände gut gewählt habe. Deshalb noch ein Telefon, ja ein Telefon wäre nützlich.

Reicht das als Antwort? Es ist eine schwierige Frage, finde ich. Aber meine Antwort ist lang, oder? Und ausführlich, vor allem. Ein bisschen erfunden auch, aber das ist egal, nicht? Die absolute Antwort auf deine Frage finde ich einfach nicht. Deshalb. Deshalb antworte ich so, wenn es dir Recht ist.

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