Freitag, 6. Februar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Träume in der Warteschlange

Die Nacht war in ein ungutes Gefühl gehüllt. Sie hat den Traum geträumt - den Traum, der sie vergessen lässt, dass sie träumt. Es gibt nur einen Traum, der sie das vergessen lässt. Diesen Traum hat sie geträumt. Der Traum, den alle immer wieder träumen. Die Zähne fallen aus. Sie fallen einzeln aus, restlos alle. Die Wurzeln verlieren den Halt im Zahnfleisch und es bleibt ein zahnloses, zahnfleischrotes Grinsen. Zwischendurch ist sie aufgewacht, hat beunruhigt und mit klopfendem Herzen mit der Zunge nach den Zähnen gefühlt. Sie waren noch da, alle - alle an ihrem gewohnten Platz, wie immer. Doch das ungute Gefühl blieb. Zuerst hörte sie Geräusche aus der Küche. Sie schlich sich auf den Zehenspitzen in den Korridor, in der Hand einen Kleiderbügel, bereit zum Schlag, egal ob es ein Einbrecher sein sollte oder ein Geist. Es war die Kaffeemaschine, die dampfend das Wasser erhitzte. Zurück unter der beschützenden, satinbezogenen Federdecke verwandelte sich das ungute Gefühl in ein Jucken, und sie war sich plötzlich ganz sicher, dass sie das weiche Federkissen mit beissenden Viechern teilte. Sie hat eines gesehen. Sie war sich ganz sicher. Es war schwarz und klein. Ein Floh? Es juckte überall. Sie sprühte sich mit Kik ein. Sie sprühte das Bett mit Kik ein, das Federkissen, das ganze Zimmer. Es hörte nicht auf zu Jucken, weil da wahrscheinlich keine beissenden Viecher waren, aber irgendwann wurde sie von der Müdigkeit übermannt und wurde wieder eingeholt vom zahnlosen Traum. Dann fielen ihr auch noch alle Zehennägel aus. Sie konnte an den Nägeln ziehen und zurück blieben nagellose Zehen. Nagellos, Zahnlos, mit juckender Haut und schweissgebadet wachte sie am Morgen auf. Die Welt vor ihrem Fenster war wieder mit einem weissen Zuckerguss übergossen worden, wie eine Geburtstagstorte. Sie mochte aber keinen weissen Zuckerguss - zu süss, zu langweilig süss - und sie hatte nicht Geburtstag. Zerstört waren ihre zaghaften Frühlingssonnenträume, zerstört von einer Zuckergussnacht voller unguter Gefühle. Zerstört waren auch die Träume von einer italienischen Steinterrasse, übersät von starken Kaffeedüften aus der Küche. Die Wohnung mit der italienischen Kaffee-Steinterrasse wurde anderweitig vergeben. Die Frühlingssonnenträume wurden in weisse Watte verpackt und zurück in Traumwarteschlange gestellt. In der Traumwarteschlange ging es zu, wie bei Cablecom. Die Auf-und-davon-ab-Belpmoos-bis-ans-Kap-der-Guten-Hoffnung-Träume, die Kreta-tönt-doch-besser-als-Heimberg-Träume (siehe auch: Somethings never change auf diesem Blog), die Irgendwann-tanze-ich-durch-einen-Korridor-Träume (siehe auch: Irgendwann auf diesem Blog), die Tamanrasset-Träume (siehe auch: Tamanrasset auf diesem Blog) hingen in der Warteschlange - genervt von der künstlichen Stimme bitte haben Sie noch etwas Geduld... - auf unbestimmte Zeit vertröstet. Und jetzt gesellten sich auch wieder die Frühlingssonnenträume und die Italien-Kaffee-Steinterrassen-Träume dazu, entmutigt, weil sie beide schon geglaubt hatten, bald erlöst zu werden von dieser ewigen Warterei. Kaffee hat sie sich dann auch ohne Steinterrasse gekocht, stark und süss, wie der weisse Tortenzuckergussschnee. Die orange Holland-Tasse nahm sie mit an den Arbeitsplatz im Wohnzimmer und vergass zu trinken, bis der Kaffee kalt war. Sie surfte im Internet nach einer Italien-Kaffee-Steinterrassen-Wohnung und hörte dazu Maná, in der Hoffnung, wenigstens die Seele täuschen zu können, dass die cablecomartige Traumwarteschlange für die Frühlingssonnenträume bald ein Ende haben würde. Sie fand keine Italien-Kaffee-Steinterrassen-Wohnung in ihrer Preislage und trank den kalten Kaffee in einem Schluck leer. Draussen hörte sie die pflichtbewusste Hauswartin den weissen Zuckergussschnee in regelmässigen Kratzbewegungen von der Treppe schaufeln. Sie entschied sich für eine weitere Tasse Kaffee und dachte dabei an die ungeduldigen Träume, die heute besonders unnachgiebig auf sich aufmerksam zu machen versuchten. Sie versuchte jedem Träumchen zuzuhören, war es auch noch so klein. Sie hörte zu, gab jedem einige Minuten, sich zu erklären. Sie erzählten ihr teilweise die absurdesten Geschichten, dass sie über ihre eigenen unerfüllten Wünsche schmunzeln musste, die in der Warteschlange auf ihre Erfüllung warteten. Da war einer - das musste der kleine Bruder vom Irgendwann-tanze-ich-durch-einen-Korridor-Traum sein - der erzählte ihr, sie wolle sich auf einen Felsen stellen, auf einen hohen Felsen, unter sich das endlose Meer, die Arme ausbreiten und schreien. Ein anderer sagte, sie wolle den Kopf mit langen Haaren aus dem fahrenden Zugfenster im Wind wehen lassen. Sie hatte ja nicht einmal lange Haare... Sie hörte zu. Sie hörte dem Einen-Berg-Marzipanschweine-essen-Traum zu, dem Ich-steige-in-Olten-einfach-nicht-aus-dem-Zug-Traum (dem grossen Bruder vom Ich-steige-in-Bern-einfach-nicht-aus-dem-Zug-Traum, den sie während der Schulzeit in Ittigen und Köniz geträumt hatte und nie hat Wirklichkeit werden lassen - hätte sie wahrscheinlich tun sollen, denn für den Ich-steige-in-Olten-einfach-nicht-aus-dem-Zug-Traum hatte sie heute zu viel Verantwortungs-bewusstsein) und sie hörte auch dem Ich-will-eine-rote-Amici-X1-Trio-Kaffeemaschine-Traum zu und dem Ein-Tischchen-aus-einem-Leuchtschriftreklamenbuchstaben-bauen-Traum. Ihr wurde bewusst, dass die vielen kleinen Träume, die unerfüllt in der Traumwarteschlange warteten, die anderen, die grossen Träume blockierten - oder so interpretierte sie zu mindest ihre Lage und entschied sich heute damit anzufangen, sich jeden Tag einen kleinen Traum zu erfüllen, jeden Tag einen kleinen, bis sie bei den grossen angelangt sein würde. Sie lies sich ein Bad ein, ein Bad mit drei rosaroten Ölkugeln, holte ein neues Kurzge-schichtenbuch (Das Ende eines ganz normalen Tages von Franz Hohler) aus dem Bücherregal, öffnete eine Flasche Prosecco (eine kleine!), zündete eine Kerze an und blieb im Wasser, bis das Buch fertig gelesen, die Flasche leer getrunken und die Haut aufgeweicht und verschrumpelt war - den ganzen schneeweissen Wattenvormittag lang. Der Anfang eines anormalen Tages.


* Von Felten Welten-Productions: Ein
Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Dienstag, 3. Februar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

She had a dream



(Es war der Schuh im obersten Regal, den sie zu diesem besonderen Anlass anziehen wollte...)

* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Tamanrasset

Noch bevor die Sonne aufgegangen war, stand sie mit einem Rucksack am Bahnhof. In der einen Hand hielt sie einen Pappbecher mit einer lauen Kaffeebrühe - gut gezuckert - und in der anderen Hand die Zeitung. Sie wusste nicht, wo sie hinreisen wollte. Sie stand am Bahnhof und überlegte noch als ein Zug einfuhr, ob sie an den Flughafen fahren, den nächst besten Flug besteigen - das heisst das billigste Angebot annehmen -, oder ob sie einfach in einen Zug steigen und bis an irgendein Meer fahren sollte. Der Zug fuhr ein. Er fuhr Richtung Brig. In Brig gibt es keinen Flughafen, aber nach Brig kommt Italien. In Italien gibt es ein Meer und es gibt besseren Kaffee, dachte sie, schütte den übersüssten Kaffee unter den Zug und stieg ein. Italien! Ich könnte nach Florenz fahren. Ich war noch nie in Florenz. Ich fahre nach Florenz, dann nach Rom. Entweder nehme ich dann eine Fähre ab Bari nach Griechenland. In Griechenland gibt es wunderschöne weisse Häuser und Oliven, aber der Kaffee schmeckt mir nicht... Dann fahre ich halt weiter durch Italien, dem Kaffee zu liebe. Ich fahre bis nach Kalabrien. Dort haben sie bestimmt auch irgendwo einen Hafen, und von dort schiffe ich nach Afrika, nach Tunesien. Ich durchquere Tunesien und fahre bis nach Algerien, nach Tamanrasset. Da wollte ich schon immer hin. Als ich klein war, habe ich davon geträumt, von der Wüste, von Tamanrasset. Dort will ich hin. Sie sass im Zug. Sie blickte aus dem Fenster, sah zu, wie sich der Thunersee durch die einigermassen schnelle Fahrt in ein impressionistisches Gemälde verwandelte. Sie dachte an die ältere Dame, die ihr von der Wüste erzählt hatte. Die Frau hatte silbernes Haar, wie ein Engel, zwar ein alter Engel, aber ein Engel. Sie hat die Wüste gemalt, gezeichnet - immer wieder. Sie wollte immer in die Wüste gehen, als sie jung war, als sie noch goldene Locken hatte. Sie ging aber nicht, und als sie silbernes Haar hatte, wollte sie nicht mehr gehen. Sie sagte, sie wolle ihren Wüstentraum nicht zerstören. Sie wolle nur träumen, von der Sahara träumen. Irgendwann ist sie gestorben. In der Wüste war sie nie. Vielleicht wird mein Traum zerstört sein, wenn ich in Tamanrasset bin. Ich rieche die Düfte und die sind anders, als ich sie mir mit 13 vorgestellt habe. Ich sehe die Wüstensöhne und sie sind... sie sind doch auch nur Männer. Ich sehe den Sand und vermisse doch wieder nur die Schneeberge. Vielleicht... Als ich 13 war habe ich mir aber versprochen, dass ich nach Tamanrasset reisen würde, irgendwann. Dieses Irgendwann muss irgendwann stattfinden, bevor ich weiss werde und meine Träume nur noch träumen will. Ich mache dieses Irgendwann zum Heute - oder Heute zu Irgendwann.
Sie hätte sich jetzt gerne eine Zigarette angezündet und den blauen Rauch zufrieden durch die Nase ausgeblasen, aber die Züge waren rauchfrei - und war sie nicht eigentlich Nichtraucherin...? Aber eine Zigarette hat etwas siegesicheres, etwas "ich-bin-mir-selbst-genug". Man raucht. Man ist zufrieden, zufrieden mit sich und vor allem zufrieden mit dem Moment. Man macht nichts anderes als rauchen, den Rauch einziehen und wieder ausatmen. Sie zog die abgestandene Luft des Waggons in ihre Lunge, stiess sie gemächlich durch die Nase, als würde sie tatsächlich rauchen, dachte dabei aber an das Gemisch aus hundert verschiedenen Parfümdüften und Schweissgerüchen, an fünfzig nasse Hunde und achzig Schuhe, die in Hundescheisse getreten waren. 2'000 Schweizerfranken hatte sie auf dem Ferienkonto. Mit 2'000 Franken könnte sie sich eine neue Kamera kaufen, einen einigermassen guten Scanner, eine schlechte Blitzanlage, 25 billige Schuhe, fast 4 Monate die Miete bezahlen, oder sie kann sich einen Traum erfüllen. Der Zug fuhr in Milano ein. Sie stand auf, ging zum Ausgang und atmete die Bahnhofluft ein, der Duft der Freiheit. Sie hätte gerne die Arme ausgebreitet und geschrien. Stattdessen lächelte sie einfach. Sie lächelte und stieg aus.
Tamanrasset. Ein Tuch bedeckte ihre Haare. Es war heiss, und es duftete... Es duftete, wie in ihren Träumen. Und da begann die Freiheit, unendliche Wüste, unendlich viel Sand. Das Licht. Es war grell, rötlich grell. Es waren Tränen der Freude, die die Farben vermischen liessen, die blauen Schleier mit dem gelben Sand und dem beige-weissen Sandstein der Häuser, wie auf den Wüstenbildern von Paul Klee. Dann wachte sie auf. Sie öffnete die Augen nur zögerlich und schloss sie gleich wieder, weil das Licht in ihren Augen brannte. Sie wusste nicht, wo sie war. Sie blickte an eine vergilbte Decke, sah die rosarote Stofflampe, ihre Lampe. Zu Hause, sie war zu Hause. Sie kniff ungläubig die Augen zusammen. 2'000 Franken, dachte sie. 2'000 Franken muss ich auf mein Ferienkonto einzahlen. Der Scanner kann warten. Ich muss einen Traum erfüllen, meinen Traum, beschloss sie, drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Sie versuchte die Farben wieder zu finden, die Farben ihres Traums.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

She had a dream



* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Freitag, 30. Januar 2009

von Felten Welten-Productions* präsentiert

Irgendwann

Ein langer, schmaler Korridor in einem Bürokomplex. Ich stehe auf einer weiss-grauen Steintreppe am einen Ende dieses Gangs. Entlang der beiden Seiten hat es rötliche, verschlossene Türen. Irgendwo steht ein blinkender Kopierer, ein Papierkorb. Sonst ist alles leer, menschenleer und von künstlich grünlichem Licht durchflutet. Nur an den beiden Enden des Korridors hat es Fenster, grosse Fenster, durch die man über eine nächtlich beleuchtete Grossstadt blicken kann - oder wahrscheinlich eher die Stadt erahnen kann, weil die Spiegelung der Leuchtstoffröhren irritiert. Ich stehe auf der Treppe, blicke in den langen Gang, sehe meine Spiegelung in der Ferne. Dann erklingt das Lied. Ich weiss nicht woher die Musik kommt. Vielleicht hat es irgendwo Lautsprecher an der Decke, oder eine Band spielt hinter einer der verschlossenen Türen. Vielleicht höre ich die Musik auch über meine Kopfhörer. Ich spüre pure Lebensfreude, pures Glück. Ich tanze. Ich tanze den ganzen langen Korridor herunter, mit ausladenden, lustvollen Schritten.
It's raining men...
Irgendwann... Irgendwannn werde ich diesen Gang finden, und ich werde tanzen.

* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Sie rennt

Heute hat sie zu mir gesagt, sie werde rennen. Sie werde rennen, bis sie nicht mehr rennen könne. Sie werde einfach rennen. Ich habe nichts dazu gesagt. Ich habe nur gedacht, dann solle sie doch rennen, bis sie nicht mehr rennen könne, aber gesagt habe ich nichts. Ich renne manchmal auch. Ich war aber noch nie mit ihr rennen. Wahrscheinlich würde sie viel länger rennen wollen als ich - und vor allem schneller. Deshalb will ich gar nicht mit ihr rennen gehen, wahrscheinlich deshalb. Ich renne auch, bis ich nicht mehr rennen kann. Nach einer halben Stunde kann ich nicht mehr. Sie rennt. Sie rennt. Ich glaube, sie rennt schon ihr ganzes Leben. Sie rennt um ihr Leben. Rennen ist ihr Leben. Ich will nicht mit ihr um ihr Leben rennen. Ich renne lieber um mein Leben. Rennen ist aber nicht mein Leben, und ich renne nicht mein ganzes Leben. Ich renne nur, wenn es mir nicht gut geht, und manchmal renne ich, wenn es mir gut geht. Sie rennt immer, glaube ich. Ich habe sie aber noch nie rennen sehen. Sie spricht nur immer vom Rennen. Aber wenn sie rennt, sagt sie, spricht sie nicht. Ich spreche auch nicht, wenn ich renne. Dann renne ich. Ich renne und singe. Aber ich singe nur in meinem Kopf. Ich kann nicht rennen und singen - nur in meinem Kopf - sonst hätte ich keinen Atem mehr um zu rennen. Ich renne, aber nicht so lange, bis ich nicht mehr rennen kann. Ich renne, bis ich keine Lust mehr habe zu rennen. Ich renne lieber allein. Ich renne alleine um mein Leben, aber Rennen ist nicht mein Leben, glaube ich.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Mittwoch, 28. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Siehst du mich?





* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Montag, 26. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Immerhin ein Bild

Sie wird golden geglänzt haben, die Wolke - rotgolden und dreidimensional. Der Horizont wird geflimmert haben, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er zum Himmel oder zur Erde gehören wolle - etwas kitschig, aber mit einem hässlich schwarzen Strommasten quer durch die Wolke irgendwie... schön, denkt sie. Aber M. hat sie platt geklatscht, die rotgoldene Wolke, samt dem Horizont. Er stampft durch die Welt, als wäre sie schon tot, als wäre sie ohnehin nur mehr ein Bild, das es abzuklatschen gilt. In diesem Glauben stampft er ganze Häuser platt, ganze Häuserblocks, samt Horizont. Sie werden zweidimensional. Sie werden zweidimensionale Abklatsche der Welt, und er glaubt, es seien Fotografien. Dann knallt er die vermeintlichen Fotografien auf den Tisch, zerknitterte Häuserblocks und Wolken, samt Horizont - zerknittert. Er fuchtelt mit seinen fettigen Fingern darauf herum. Er redet. Sie sieht nur seine Hände, wie sie durch die Gegend fliegen, wie hundert kleine Helikopter, findet sie, hundert Helikopter im Krieg. Seine Stimme rattert, wenn er redet, als würde er damit den Helikoptermotor imitieren. Dann brausen die Helikopter in die Tiefe und prallen auf den zerknitterten Horizont. Als sie sich erheben, sind es wieder bloss fettige Finger, und zurück bleibt ein dicker Fleck auf dem Wolkenbild. Er sitzt da und lacht, der Fettfleck. Wahrscheinlich lacht er über ihr entsetztes Gesicht. Der Motor ist verstummt. Sie starrt auf die vermeintliche Fotografie. Sie starrt auf den Fettfleck, und schon fängt der Motor wieder an zu knarren. Er knarrt Photoshop, Farben intensivieren - und dann nur noch brrrratter. Die Fingerhelikopter fliegen wieder durch die Lüfte, entfernen das Wolkenbild und brausen um ein nächstes Plattgedrücktes. Platt gedrückte Treppen, platt gedrückte Menschen, platt gedrückte Tauben. Er starrt auf das Plattgedrückte, dann starrt er sie an. Er starrt sie an, als wolle er auch sie gleich zu einem Bild plätten, in der Überzeugung, er mache ein Foto, und der Motor rattert lauter. "Stopp!" Schreit sie. "Stopp! Du kannst doch nicht die ganze Welt platt walzen und sagen, das seien Fotografien!" Der Motor schweigt. Die Helikopter werden wieder Fettfinger (zum Glück, sonst wären sie abgestürzt) und gleiten zurück auf die gewalzte Taube. Er schaut sie an. Er denkt wahrscheinlich, sie spinne. Er packt die ohnehin schon zerknitterten Blätter, falzt sie in der Mitte, zerreisst sie in kleine Stückchen, wirft sie in den Papierkorb und stürmt aus dem Zimmer. Er schreit wutentbrannt, was sie eigentlich wolle. Das seien doch Fotografien von Wolken, sie sei eine realitätsfremde Träumerin, und dann hört sie nur noch das Getöse eines einzelnen Riesenhelikopters. Sie steht noch immer am selben Ort. Sie steht da. Sie wartet. Sie wartet, bis der Helikopter in der Ferne verstummt ist. Sie geht zum Papierkorb, holt die Schnipsel heraus - die, die sie findet - und setzt sie zusammen. Auch den Fettfleck klebt sie wieder an. Dann fotokopiert sie das Entstandene. Sie fotokopiert es schwarz-weiss, dann hängt sie es an die Wand. Sie steht davor, betrachtet es. Jetzt ist es ein Bild, denkt sie, immerhin ein Bild.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Freitag, 23. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Fútbol es un baile

(für F.B.**)

Er läuft nicht mit dem Fuss, viel mehr scheint er mit ihm zu tanzen, oft ein Stück vor dem schwarz-weiss gekleideten Tanzpartner, dann berührt er ihn wieder kurz - ein-,
zweimal -, um dann wieder über die grüne Tanzfläche zu gleiten, zwirbeln, wirbeln. Er springt in die Luft, sich um die eigene Achse windend, als würde er fliegen, ohne Flügel fliegen. Zurück auf dem Grün, angezogen durch die Kräfte der Gravitation, springt er gleich noch zweimal in die Höhe und wird dann sachte von seinem Tanzpartner in eine Richtung gedrängt. Zusammen schlängeln sie sich um Hindernisse. Dann ein Stoss, ein gezielter Stoss. Knapp über dem Boden wird er einem anderen Tanzpartner übergeben. Er schmiegt sich an ihn, um gleitet ihn fast zärtlich, lässt sich von ihm führen - immer näher dem Ziel, immer näher. Jetzt! Er fliegt in einem eleganten Bogen, vorbei an staunenden Gesichtern, streift ein Haarbüschel, doch nur das Netz vermag seinen Flug aufzuhalten, seinen Tanz zu beenden.
Tor, Tor, Tooor! (Ach Scheisse! für den Gegner...)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

**
Fuss Ball

Montag, 19. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Von Zahlen und Namen

Sag mir nicht, wann du Geburtstag hast. Ich will es nicht wissen! Nein, natürlich mag ich dich! Ich... Nein, deine Telefonnummer will ich auch nicht aufschreiben. Ich schreibe lieber deine Adresse auf, vielleicht einfach ohne Hausnummer, wenn es dich nicht stört - oder du kannst die Telefonnummer selber in mein Handy eintippen und gleich unter deinem Namen speichern. Ich rufe dich an - bestimmt! Ich will auch nicht wissen, wie spät es gerade ist, geschweige denn, welchen Tag wir heute haben. Ich habe dich heute getroffen. Heute, jetzt - das reicht vollkommen, und deinen Namen, den würde ich gerne erfahren. Wie viele Geschwister du hast und wie alt die sind, nein, das will ich auch nicht wissen. Nicht, dass es mich nicht interessieren würde, aber sag mir lieber wie sie alle heissen. Die Namen kann ich wieder vergessen, wenn nicht heute, dann morgen. Auch wenn sich dein Name nicht in mein Herz einbrennen wird, die Zahlen werden es tun. Sie werden sich in mein Gehirn einbrennen, wie sich eine hässliche Farbtätowierung in die Haut einbrennt und vernarbt. Ich werde sie loswerden wollen - wie alle diese Scheisszahlen in meinem Kopf! 10.10.2000, 31.7.1997, 14.9.2001, 28.6.1984, 26.5.1995, 5.5.2006, 7.4.2008, 9.7.1994 und dann noch dieser blöde 7.7, 19.1.1980, 9.6.1980, 20.7.1927, 24.12.1976, 1.9.1981, 20.4.1979, 6.6.1979, 6.11.1978, 19.9.1953, 3.12.1951, 15.1.1980, 11.7.1981, 21.9.1979, 437846143747454371309.... Die Zahlen im Kopf - Zahlen in Farbe - wollen nicht weg. Sie verfolgen mich schon mein ganzes Leben. Telefonnummern von Freunden, Telefonnummern von Freunden, die umgezogen sind, Geburtsdaten von Freunden, Geburtsdaten von Freunden, die nicht mehr Freunde sind, Hausnummern, Autonummern, Daten, Zahlen, sinnlos... Mein Erstes Mal, mein erster Kuss, die Reisedaten nach Kuba, Costa Rica, in die Türkei und zurück, Geburtstage und noch mal Geburtstage. Alles vergangen, alles egal... Die Zahlen bleiben unlöschbar in meinem Gehirn abgespeichert - und ausserdem noch in Farbe. Rote Zahlen, gelbe Zahlen, Zahlen in Grün, Zahlen in Rosarot... Manche Zahlen sind nur noch Zahlen. Sie sind zwar farbig, haben aber während der Jahre in meinem Kopf die Zuordnung zu ihrem Ereignis verloren. Sie schwirren und irren durch die endlosen Bahnen meiner Gehirnwindungen, treffen auf bekannte, ereignisreiche und somit stolze Zahlen und wissen selber nicht mehr, wer sie sind. Trotzdem sind sie nicht bereit zu gehen. Sie irren weiter, und immer, wenn sie auf Zahlenkombinationen treffen, die ihnen ähneln, schreien sie. Sie schreien, sie seien auch noch da. Sie seien obdachlose Zahlen. Sie seien verloren gegangen, gefangen in meinem Kopf, und sie suchen nach Erinnerungsfetzen oder nach neuen Ereignissen und Bedeutungen, denen man sie zuordnen könnte. Schwachsinn, sage ich. Wie will 22.5.1986 mit einer neuen Bedeutung ausgestattet werden...? Verschwinden sollt ihr! Also, bitte, versuch mich zu verstehen. Keine neuen Zahlen! Auf keinen Fall! Ich will nicht die Schwiegertochter deiner Mutter werden. Sie darf mich ruhig hassen, dass ich ihren Geburtstag nie wissen werde. Ich will ihn nicht wissen! Ich kann sowieso nicht backen, und Weihnachten gibt es ja auch noch - egal, ob du am 24. oder 25.12 Weihnachten feierst, daran werde ich denken. Ich kann Pralinées kaufen, für 14,80 beim feinen Beck um die Ecke. Verrat mir bloss deinen Namen. Ich werde versuchen, mir den zu merken - bis morgen - und ich werde ihn eingeben in mein Handy. Das wird deine Nummer wählen. Ich werde mich melden - bestimmt. Dein Name wird sich aber nicht in mein Herz brennen - also bitte keine Zahlen, keine Zahlen mehr...
Rolf...? Und dein Vater heisst auch Rolf? Ja, das kann ich mir merken, denke ich...
(siehe auch: "Für alle Rölfe", einen Beitrag auf diesem Blog vom 5.11.2008 und siehe Synästhesie: http://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie, http://www.neon.de/kat/politik/denksysteme/1073143615/521.html)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten