Mittwoch, 29. September 2010

Vom Fliegen, Fotografieren und Töten

Am Anfang waren sie und das Licht, und sie hatte das Gefühl, sie würde Gedichte schreiben mit dem Licht, zärtliche Liebesgedichte mit einer Feder, einer farbigen Vogelfeder. Sie schrieb die Gedichte Satz um Satz, als trüge sie selber Gefieder und flöge über die Erde, frei; bis ihr eines Tages auffiel, dass es nicht Gedichte waren, die sie schrieb - es waren plattgedrückte Berge, plattgedrückte Häuser, ganze plattgedrückte Landschaften und Städte, die sie im beiläufigen Vorübergehen tot getrampelt hatte. Sie fand diese platten Dinge zwar immer noch schön, aber es fiel ihr schwer, sie herzustellen, weil sie nun bewusst dafür töten musste. Das Töten war aber ihr Leben. Ihr Leben war das Töten. Und sie nahm die vermeintliche Vogelfeder, mit der sie nicht mehr fliegen konnte, wieder aus dem Schrank und walzte alles platt, was ihr gefiel.
Dann stand sie vor den entstandenen Fotografien, zweidimensional und tot, und fand sie - irgendwie - schön. Aber schöner war es mit dem Licht zu fliegen.

Ispiriert durch Henri Michaux, In der Gesellschaft der Ungeheuer
Zitat: "(...)Die Bäume auf seinem Weg warf er über den Haufen, warf sie platt, und es waren Photographien.(...)"

Dienstag, 28. September 2010

Über das bodenlose Nichts und keine Sonne*


Ein weisses, grosses Nichts umgab mich, und da waren Farben. Von links kam ein grosses Rot. Es füllte langsam die linke Seite aus, bis es meine ganze Sicht einnahm, um dann einem leuchtenden Gelb zu weichen, das sich von rechts kommend vor meine Augen schob. Dann stolperte ich. Ein Trottoirabsatz. Ich hatte einen Fussgängerstreifen überquert - daher das grosse Gelb. Ich zog die milchige Brille aus, und Sheila, meine sehbehinderte Begleiterin, überreichte mir anstelle des weissen Nichts eine Augenbinde - totale Dunkelheit, schwarzes, bodenloses Nichts.
An Sheilas Arm festgeklammert, durchquerte ich den belebten Bahnhof. Ich hörte Stimmen, fühlte jede Unebenheit des Bodens und meine Unsicherheit - vor allem fühlte ich meine Unsicherheit. Nur schwarz, nur nichts und beängstigende Geräusche. Jetzt gehen wir auf die Rolltreppe, hörte ich Sheilas Stimme. Die Unsicherheit wich einer tatsächlichen Angst. Ich schielte angestrengt unter der Binde hindurch auf den Boden und erhaschte einen Blick auf das fahrende Metall vor mir. Das tat ich auch wieder, als ich fühlte, dass die rollende Treppe flach wurde. Zu sehen, gab mir meine Sicherheit zurück.
Und jetzt, wo willst du noch hin?, fragte mich Sheila. Ich habe es gesehen, nichts zu sehen, antwortete ich und zog das Nichts und damit meine Unsicherheit von meinen Augen weg. Grelles Licht blendete mich. Erst nach einigen Sekunden begann ich wahrzunehmen, wo ich mich befand: am Ausgang des Bahnhofs, und was mich blendete, awr der angenegme Schatten des Bahnhofdachs. Wir verabschiedeten uns, und ich schaute Sheila noch eine Weile hinterher, wie sie zügigen Schrittes die Strasse überquert und in die nächste Gass einbiegt, als würde sie alles so sehen wie ich.
Jeden Tag gehen Sheila, Herr Pfister und viele andere durch das farbig verschwommene Nichts. Jeden Tag gehen Pius und viele andere durch das schwarze, beängstigende Nichts. Sie gehen durch ein visuelles Nichts, ohne Angst, und meistern ihren Alltag. Und jeden Tag verlassen wir uns auf unsere Augen, um nicht über Absätze zu stolpern und in Türen zu laufen. Jeden Tag sehen wir Bäume und ihr Grün, bekannte und unbekannte Gesichter, graue Häuser, farbige Schilder und wissen nicht, wie es ist, durch ein Nichts zu gehen - ein farbiges Nichts oder ein ganz schwarzes Nichts, als gäbe es nur Nacht und keine Sonne.

*Text und Bild waren zusehen in der Ausstellung Utopie und Alltag, im Spannungsfeld zwischen Kunst und Bildung (17.Juli - 5.September 2010), unter dem Titel Siehst du - eine Annäherung an eine nonvisuelle Welt (work in progress)
http://www.kunstmuseum-thun.ch/index.php?id=450

Freitag, 28. Mai 2010

Ein Zitat zu "I love Zuerich"

"D Lüt ir Provinz si im Schnitt weniger ängstirnig aus d Lüt i de Stedt. Z Züri zum Bischpiu list praktisch niemer e Zytig, wo nid vo Züri chunnt. Aber ufem Land läse fasch aui zwe Zytige, die eigeti u eini vo Züri. Drum hets i de grössere Städt so viu Spiesser. Das isch nid so schlimm. Schlimm isch höchschtens, dases niemer seit."

Zitat: Pedro Lenz

Dienstag, 18. Mai 2010

I love Zuerich

Zürich ist gross, sagt man - am grössten - und gat voll ab, maan. Zürich ist eigentlich das Amerika der Schweiz, finde ich. Rund um Zürich gibt es nämlich nichts, nichts Nennenswertes. Eigentlich gibt es nur Zürich - Zürich und dann Amerika natürlich! Zürich ist die Schweiz und Amerika die Welt. Es gibt schon noch einige Berge dazwischen und ein Meer, ein grosses Meer, aber viel Nennenswertes liegt nicht dazwischen - na gut, vielleicht noch Paris.

Ein Mann aus Bern, einer Stadt im Westen von Zürich, hat einmal gesagt „Amerika gits gar nid. Amerika isch nume es Grücht. (...) u mit der Zit si geng me häre gange u wider zrügg cho u hei verzeut, u no bis hüt, verzeue immer aui ds gliche (...)“

Es ist gross, also am grössten (und gat voll ab maan). Erfolg kann man dort haben, nur dort. Es sei ein bisschen teuer, aber schön, am schönsten halt und eben, am grössten vor allem. Man sagt, es gibt dort einen See, aber de hat no gar nie öper gseh. Es verzeue immer aui ds gliche – vom Erfolg, den abgefuckten, aber geilen Klubs, von der Kultur und der Kunst, manchmal von der Mode – eifach Style maan, und Style entsteht dort – und ein bisschen von den Drogen.

Ich war in Zürich.
Gross war es und teuer.
Erfolg hatte ich keinen.
Ich glaube, Zürich gibt es gar nicht.
Zürich ist nur ein Gerücht...

Montag, 3. Mai 2010

Vierzehn Uhr oder alles Gute!


Um vierzehn Uhr habe ich auf die Klingel gedrückt mit dem unaussprechbaren Namen, immer pünktlich um vierzehn Uhr - pünktlich wie Schweizer sind.
Um vierzehn Uhr habe ich dich besucht, immer um vierzehn Uhr, immer in eurer Wohnung mit den zugezogenen Vorhängen.
Manchmal habe ich noch in meinen Träumen von vierzehn Uhr geträumt, von vierzehn Uhr und eurer Wohnung mit den zugezogenen Vorhängen.
Ich habe die Enge dieser Wände in meinen Träumen gefühlt. Aber du hast gesagt, es geht dir gut. Du vermisst deine Familie, hast du gesagt, aber in deinen deinen vier Wänden fühlst du dich wohl - besonders um vierzehn Uhr wenn ich dich besuche. Das hast du gesagt.
Ich habe dich angerufen. Ich wollte das Treffen verschieben, von vierzehn Uhr am Dienstag auf vierzehn Uhr am Donnerstag. Vierzehn Uhr wird es wieder werden, jeden Tag, aber wir werden uns nicht wiedersehen, nicht am Donnerstag - nie mehr.
Du kannst nicht viel dazu sagen, hast du gesagt. Aber du gehst nicht weg. Du bleibst da, in deiner Wohnung und gehst manchmal zu Otto's oder kurz in die Stadt. Die Vorhänge deiner Fenster lässt du dann zugezogen zu Hause und nimmst einen anderen Stoff, den du über deine Haare hängst.
Aber es geht dir gut, hast du gesagt.
Zugezogen, zurückgezogen lebst du in deinen vier Wänden. Du willst es auch so, hast du gesagt, und dein Mann will es so, hast du gesagt.
Er hat gesagt, er will nicht, das wir uns weiterhin sehen. Das hast du am Ende noch gesagt, und ob du mich manchmal anrufen darfst, hast du gefragt. Ja, habe ich gesagt - immer, nicht nur um vierzehn Uhr!
Alles Gute, habe ich noch gesagt, alles Gute wünsche ich dir...

Dienstag, 20. April 2010

Stumme Zeugin

Wenn er mich begrüsst hat, berührt er kurz mit der rechten Hand sein Herz und neigt dabei den Kopf leicht seitlich nach vorne. Auf einem kleinen, silbernen Tablett serviert er uns jedes mal Tee, Kaffee oder frisch gepresste Säfte - manchmal auch Gebäck dazu, immer lächelnd. Dann verschwindet er in ein anderes Zimmer oder er räumt den Balkon auf.

Sie trägt das Tuch zu Hause nur, wenn sie die Türe öffnet, auf den Balkon etwas holen geht, und wenn ich sie fotografiere.
Heute umrahmt ein schwarzes Tuch ihr Gesicht und hebt die grossen dunklen Augen hervor.

Sie wechseln ein paar Worte. Ihre Gespräche verstehe ich nicht. Es sei ein Gemisch aus Arabisch und Persisch, erklärt sie mir. Sie lacht heute viel. Ihre Augen sind diesmal nicht von Schatten umgeben. Sie scheinen sogar ein bisschen zu funkeln, wie die ihres Sohnes - tief schwarz, gross und das Funkeln.

Wir laden ihre Fotos auf meinen USB-Stick, als sie das Zimmer verlässt und zu ihm in die Küche geht. Ihre Schritte sind schnell, entschlossen. Sie spricht etwas schneller als sonst und lauter, als sie zu ihm etwas sagt. Verstehen kann ich sie nicht. Er wird auch laut und spricht auch schnell und noch lauter.

Dann knallt eine Tür ins Schloss.
Stille.
Dann Wasserrauschen im Bad.
Stille.

Sie kommt wieder in das Zimmer. Die Bilder sind auf dem Stick. Ich blicke sie an. Sie ist wieder blass, fast durchsichtig. Das Funkeln in den Augen, das ich vor weinigen Minuten zu erahnen glaubte, ist verschwunden. Sie wirken verschlossen und dunkle Schatten umrahmen sie. Helles Blut an ihrer Unterlippe. Sie wischt es immer wieder weg, das helle Blut.

Sie sagt nicht mehr viel, wischt nur immer wieder Blut weg.
Und ich sage nichts.

Ich gehe zurück - in meine Welt - und habe nichts gesagt.
Nichts.
Ich bin nichts, als eine stumme Zeugin - eine stumme Zeugin der dunklen Schatten um ihre Augen und des Blutes, des hellen Blutes...

Donnerstag, 15. April 2010

Lieber Thomas - weitere Gedanken über die Liebe

Wie du vielleicht schon bemerkt hast, liegt es mir nicht so, romantische Sätze über die Liebe zu schreiben, aber trotzdem hat mich deine Frage angeregt über das Thema nachzudenken. Wie allgemein bekannt ist und in meinem vorhergehenden Text angetönt wurde, geht die Liebe durch den Magen, und nach dem Magen kommt, ebenfalls bekanntlich, der Darm.
Da ich gerne Zwiebeln in meine weisse Sauce mische, und Zwiebeln im Darm ein explosives Resultat erzeugen, liegt es nahe, über Fürze zu schreiben. Liebe und Fürze haben nämlich, zu mindest in meinen Augen, viel miteinander zu tun.
Als Kleinkinder furzen wir hemmungslos. Irgendwann lernt mensch dann, dass ein Furz etwas Unanständiges ist - besonders für Frauen.
Frauen furzen nicht. Sie furzen nicht in der Öffentlichkeit, zumindest nicht laut. Manchmal furzen sie leise, dann ist aber der Absender schlecht auszumachen, und sie kann immer noch den Mann neben ihr beschuldigen. Auf öffentlichen Toiletten hört man manchmal auch Frauenfürze, wie sie hohl in der Kloschüssel hallen. Dann bleibt aber die Tür der Toilettennachbarin so lange verschlossen, bis niemand mehr da ist, und sie ungesehen verschwinden kann.
Männer hingegen - nicht alle, aber viele - furzen. Sie furzen laut und fast überall. Sie führen Gespräche und furzen dazu - verquetschte Töne, wenn sie sitzen und vibrierend hohle, wenn sie stehen und ihre Pobacken nicht anspannen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Nur selten werden diese Geräusche mit Aufmerksamkeit taxiert - und sie freuen sich auch noch wenn sie würzig Düfte erzeugen.
Freunde haben zu mir gesagt, als ich sie auf die Furzerei angesprochen habe, ich solle doch auch einfach meine Scham abstreifen und ungehemmt einen fahren lassen.
Ich habe mir diese Worte zu Herzen genommen, und irgendwann, als genügend Vertrauen meinerseits vorhanden war, habe ich es getan - ich habe gefurzt, laut vor meinen Freunden. Sie waren in ein Gespräch vertieft, aber als sie meinen Furz hörten, sind sie alle verstummt, alle! Und sie haben mich angeschaut, als wäre ich soeben aus einem Raumschiff ausgestiegen. Aber ich wusste in diesem Moment, dass ich ihnen vertraue.
Fürze haben also mit Vertrauen zu tun.
In den ersten drei, vier Beziehungsmonaten, in der Rosa-Brillen-Zeit furzt man noch nicht, nicht laut und auch nicht leise, zumindest frau nicht - nicht oder noch nicht. Frau verquetscht sie lieber und riskiert Bauchschmerzen. Dann legt frau aber auch noch Toilettenpapier in die Kloschüssel, damit man das Plätschern nicht hört, beim Wasserlösen, wohlgemerkt...
Nach dieser Zeit aber, wenn das Vertrauen da ist, sollte auch frau bald einmal mit furzen anfangen. Ich habe es getan, ziemlich bald. Einen erstaunten Blick habe ich schon geerntet. Ich habe ihm aber damit mein Vertrauen bewiesen. Das habe ich ihm auch gesagt.
Und, lieber Thomas, ist Vertrauen nicht ein Liebesbeweis?
Er seinerseits, hat mir seine Liebe bewiesen, indem er meine Furzerei akzeptiert hat.
Und, lieber Thomas, ist Akzeptanz nicht ein Teil der Liebe!?
Ich meine, es gibt noch heute Männer, die finden, Frauen hätten nicht zu furzen, das sei unanständig, das sei nicht damenhaft... Aber so einen wollte ich nie - zu verkrampft in seiner Einstellung.
Deshalb ist meine Devise, lieber zu früh furzen und den unpassenden Mann schnell wieder loswerden, weil zu unemanzipiert, zu kompliziert. Und wenn er sie schon früh mit ihren Fürze annimmt, ohne Beifall zu klatschen, aber auch ohne die Töne beschämt zu ignorieren, sondern sie im besten Fall mit einem trockenen Spruch kommentiert, dann muss er der Richtige sein, dann muss es Liebe sein...

Über Löcher und die Liebe - für Thomas, der wissen wollte, was Liebe ist

Hunger ist ein Gefühl, als wäre anstelle eines Organs ein Loch, und wenn irgendwo ein Loch ist, wo keines sein sollte, dann stopft man es. Man nimmt passendes Material und füllt es in das Loch, bis da, wo das Loch war, keines mehr ist. Ein bisschen Brot, ein Stück Käse, zwei getrocknete Tomaten, eine handvoll Nüsse und weg ist das Loch.
Ich habe nie gerne gekocht. Am liebsten habe ich vor dem Kühlschrank zuerst meinen Teller, dann immer noch vor dem Kühlschrank meinen Magen gefüllt.
Manchmal hat jemand für mich gekocht. Meine Schwester, meine Mutter, oder er hat gekocht. Natürlich hat dieses warme Magenstopfmaterial um Längen besser geschmeckt, als der kalte Kühlschrankemmentaler und das vertrocknete Brot. Und ich habe auch immer gerne zugeschaut, wenn sie gekocht haben. Das Messer blitzte auf und ab und klopfte auf den Tisch, das siedende Wasser liess eine Nebellandschaft in der Küche entstehen und die Fischaugen sprangen aus den Augenhöhlen, als wären es Gummibälle.
Manchmal habe ich dann die Zwiebeln geschnitten, bis mir das Augenwasser die Sicht nahm oder eines meiner Fingerbeeren blutete. Dann habe ich wieder zugeschaut, und manchmal habe ich dann fotografiert. Ich habe viele Bilder, wie Essen zubereitet wird - fast so viele wie Wolkenbilder -, weisse Flüssigkeit, die in einen silbernen Topf läuft, Ölaugen vor schwarzem Teflon-Hintergrund, Hände, die geschickter als meine Zwiebeln in kleine Würfeln zerteilen und rote Krebse auf gelbem Tischtuch. Dann habe ich den Tisch gedeckt.
Und es hat geschmeckt - sehr gut hat es geschmeckt.
Irgendwann war er aber weg und hat nicht mehr für mich gekocht, und ich habe mich ausschliesslich vor dem Kühlschrank ernährt - mit Ausnahmen natürlich.

Die Bernsteinhonigaugen strahlen golden. Sie strahlen besonders golden, wenn er am Essen ist, wenn er ein Entrecôte zerteilt und den Bissen in seinen Mund schiebt. Und ich mag seine Augen, besonders wenn sie golden strahlen. Also muss ich kochen, dachte ich. Ich muss einfach kochen, dann strahlen sie schön golden.
Mit einem Kochbuch im orangen Einkaufskorb irrte ich durch die Regale, bis ich alle Zutaten hatte, die ich zum Lochfüllmaterial und Strahleaugenerzeuger verarbeiten wollte.
Mittlerweile habe ich bestimmt schon fünfzehnmal gekocht - Gnoggi mit weisser Sauce und ein Fleisch. Wein gibt es dazu, roter Wein in bauchigen Gläsern.
Und ich glaube, lieber Thomas, ich glaube, das muss Liebe sein, dass ich koche und er seine Augen golden für mich strahlen lässt, wenn er meine weichen Gnoggi verdrückt, das muss Liebe sein...

Freitag, 9. April 2010

An die Zeit

Stundenlang habe ich vergessen. Stundenlang habe ich dich vergessen, Zeit.
Ich sass da und schrieb. Das Gedachte floss, und es flog in einer Leichtigkeit, als wären Gedanken Federn direkt in meine Hand, aufs Papier. Und es las sich auch noch schön.
Ich las.
Ich vergas.
Ich vergas und schrieb es, schrieb bevor es verloren war in der Leere des Raums, auf das Papier.
Einige Worte wurden geändert, verformt - gleich im Moment oder später.
Dann las ich es wieder, ganz zufrieden. Es war nun geschrieben, der vergessene Gedanke, bevor er sich verlieren konnte. Ich konnte beruhigt alles löschen aus meinem Kopf. Es war auf Papier - und las sich auch noch ganz schön.
Es war jetzt wirklich. Es schien keine Illusion mehr, als könnte man sie anfassen, die Gedanken.
Da stand es - mit dem Rücken zur Vergangenheit.
Und ich konnte in die Zukunft blicken, voller Hoffnung.
Das macht glücklich.
Gerne hätte ich Dinge verändert, die waren, aber ich hatte den Rücken dem Vergangenen zugewandt und wurde getrieben in das Kommende.
Das macht glücklich.
Und dann kam es - das Glück.
Und ich konnte nicht mehr vergessen. Ich konnte dich nicht vergessen, Zeit.
Und es schrieb sich nicht mehr. Es schrieb sich nicht mehr und las sich nicht mehr gut. Das Gedachte blieb in der Zeit stecken.
Sie flossen nicht mehr. Sie flogen nicht mehr, wie Federn leicht in meine Hand – die Gedanken. Sie wurden zum Jetzt. Sie wurden zu Stein, weil sie glücklich waren im Jetzt und wollten nicht mehr das Vergangene verändern, und es war ihnen auch egal, was kommen würde.
Stillstand.
Alles stand still.
Da waren schöne Sätze. Da waren noch schöne Sätze. Aber sie waren allein. Sie fügten sich nicht mehr ineinander, wollten kein Ganzes mehr formen. Sie wollten nur noch sein.
Aber nur ein Ganzes ist schön.
Nur das Ganze hat glücklich gemacht, hat auf das Glücklich hoffen lassen.
Jetzt ist es da, das Glücklich.
Aber das Glücklich macht unglücklich.
Das Glücklich im Jetzt, lässt das Vergangene in seiner Vergangenheit ruhen und kann nicht mehr hoffen, weil alles schon da ist, was gehofft wurde.
Es bedeutet Stein.
Es bedeutet Stillstand.
Es bedeutet den Moment festgehalten zu haben, wie ein Bild - was ich immer wollte.
Glücklich ist unglücklich ohne die Zeit.
Jetzt kann nur sein, wenn das Vergangene nicht vergessen wird. Dann kann auch noch eine Zukunft kommen.
Und es kann wieder fliessen.
Sie können dann wieder fliessen - die Gedanken, im Jetzt, mit der Zeit.

Dienstag, 12. Januar 2010

Fisch ist Fisch

Wenn der Zug ohne mich abfährt, wenn ich noch da stehe und nicht so ganz sicher bin, was ich nun soll (Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen oder einfach stehen bleiben), dann fangen sie erst an.

Zuerst singen sie ein bisschen, manchmal ganz nett. Dann hören sie mir zu und lachen ab und zu - nicht höhnisch, aber ein bisschen ironisch schon. Dann singen sie wieder, plätschernd und fliessend einem Wasserfall ähnlich und lachen dann wieder, etwas lauter. Mir hören sie nicht mehr zu. Sie erzählen einfach. Ich glaube, es ist ihnen ganz egal, ob überhaupt jemand zuhört, ob ich ihnen zuhöre.

Ich höre aber zu. Ich muss ihnen zu hören - was sollte ich anderes tun? Ich könnte Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen, aber ich bleibe dann einfach stehen und höre zu. Dann sind sie auf einmal still. Sie erwarten von mir eine Antwort oder eine Fortsetzung, wahrscheinlich. Das ist aber nicht einfach, wenn sie dann einfach still sind und erwarten.

Du hast kürzlich zu mir gesagt, ich solle keine Erwartung haben. Abgesehen davon, dass du es gesagt hast, haben schon andere das gleiche gesagt, und ich will auch nicht erwarten, dachte ich eigentlich. Aber dann erwarte ich doch und suche ein Ziel - eigentlich nicht ein Ziel sondern das Ziel. Und dann sind sie einfach still und lachen ein bisschen - im besten Fall lachen sie noch ein bisschen.

Ich finde das schon fast ein bisschen frech! Wenn sie nichts sagen würden, wäre das in Ordnung. Aber so viel zu sagen, um im wichtigsten Moment nur noch zu lachen, und dann einfach zu schweigen, das ist doch frech, findest du nicht?

Sie reden ganz interessante Dinge, übrigens. Aber sie reden nur. Selber setzten sie nichts um. Sie können nicht. Sie reden nur - und erwarten. Oft sind sie etwas überschwänglich, etwas grossartig, aber wenn man sich ein bisschen Zeit nehmen würde, denke ich, und alles etwas konkretisieren würde, könnte man daraus ganz nützliche Dinge machen. Man könnte daraus ganz gute Dinge machen. Das wäre dann meine Aufgabe.

Das habe ich auch gemacht. Das habe ich gemacht, bis es nicht mehr ging, weil sie zu schweigen anfingen, wenn sie etwas hätten sagen oder wenigstens singen sollen.

Dann hast du gesagt und eben auch andere haben das selbe gesagt, ich soll wieder einfach machen, ohne Erwartung zuhören und machen - dann geht es besser, dann kommt es gut.

Du hast ja Recht. Man sagt ja schliesslich auch, dass das Ziel nicht das Ziel sein soll. Der Weg ist das Ziel, sagt man.

Aber ich weiss nicht, ob man das nur sagt, weil es so schön klingt, weil es so schön positiv klingt. Ich meine, wofür gibt es dann das Wort Ziel überhaupt, wenn nicht das Ziel das Ziel ist, sonder der Weg? Der Weg ist das Ziel.... Ich finde, Fisch ist Fisch irgendwie besser. Fisch ist Fisch. Ziel ist Ziel.

Ich mag Fische sowieso ganz gerne. Ich mag ihnen nicht gerne zu schauen - das ist langweilig. Sie schwimmen nur -, aber so als Tier in Gedanken mag ich sie. Sie sind so frei (oder ist das der Vogel?), sagt man. Das sagt man über sie auch. Das stimmt, leider. Sie machen, was sie wollen...

Wäre ich 2 Minuten früher aufgestanden oder hätte den Pickel nicht mehr ausgedrückt, hätte ich den Zug nicht verpasst. Dann würde ich jetzt nicht hier stehen, und sie würden nicht wieder sinnlos vor sich hin singen, um dann doch wieder nur zu schweigen.

Du sagtest, ich solle einfach zu hören und dann machen.

Mir wäre lieber, ich würde jetzt im Zug sitzen. Mir wäre lieber, sie würden einfach schweigen.