Montag, 26. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Immerhin ein Bild

Sie wird golden geglänzt haben, die Wolke - rotgolden und dreidimensional. Der Horizont wird geflimmert haben, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er zum Himmel oder zur Erde gehören wolle - etwas kitschig, aber mit einem hässlich schwarzen Strommasten quer durch die Wolke irgendwie... schön, denkt sie. Aber M. hat sie platt geklatscht, die rotgoldene Wolke, samt dem Horizont. Er stampft durch die Welt, als wäre sie schon tot, als wäre sie ohnehin nur mehr ein Bild, das es abzuklatschen gilt. In diesem Glauben stampft er ganze Häuser platt, ganze Häuserblocks, samt Horizont. Sie werden zweidimensional. Sie werden zweidimensionale Abklatsche der Welt, und er glaubt, es seien Fotografien. Dann knallt er die vermeintlichen Fotografien auf den Tisch, zerknitterte Häuserblocks und Wolken, samt Horizont - zerknittert. Er fuchtelt mit seinen fettigen Fingern darauf herum. Er redet. Sie sieht nur seine Hände, wie sie durch die Gegend fliegen, wie hundert kleine Helikopter, findet sie, hundert Helikopter im Krieg. Seine Stimme rattert, wenn er redet, als würde er damit den Helikoptermotor imitieren. Dann brausen die Helikopter in die Tiefe und prallen auf den zerknitterten Horizont. Als sie sich erheben, sind es wieder bloss fettige Finger, und zurück bleibt ein dicker Fleck auf dem Wolkenbild. Er sitzt da und lacht, der Fettfleck. Wahrscheinlich lacht er über ihr entsetztes Gesicht. Der Motor ist verstummt. Sie starrt auf die vermeintliche Fotografie. Sie starrt auf den Fettfleck, und schon fängt der Motor wieder an zu knarren. Er knarrt Photoshop, Farben intensivieren - und dann nur noch brrrratter. Die Fingerhelikopter fliegen wieder durch die Lüfte, entfernen das Wolkenbild und brausen um ein nächstes Plattgedrücktes. Platt gedrückte Treppen, platt gedrückte Menschen, platt gedrückte Tauben. Er starrt auf das Plattgedrückte, dann starrt er sie an. Er starrt sie an, als wolle er auch sie gleich zu einem Bild plätten, in der Überzeugung, er mache ein Foto, und der Motor rattert lauter. "Stopp!" Schreit sie. "Stopp! Du kannst doch nicht die ganze Welt platt walzen und sagen, das seien Fotografien!" Der Motor schweigt. Die Helikopter werden wieder Fettfinger (zum Glück, sonst wären sie abgestürzt) und gleiten zurück auf die gewalzte Taube. Er schaut sie an. Er denkt wahrscheinlich, sie spinne. Er packt die ohnehin schon zerknitterten Blätter, falzt sie in der Mitte, zerreisst sie in kleine Stückchen, wirft sie in den Papierkorb und stürmt aus dem Zimmer. Er schreit wutentbrannt, was sie eigentlich wolle. Das seien doch Fotografien von Wolken, sie sei eine realitätsfremde Träumerin, und dann hört sie nur noch das Getöse eines einzelnen Riesenhelikopters. Sie steht noch immer am selben Ort. Sie steht da. Sie wartet. Sie wartet, bis der Helikopter in der Ferne verstummt ist. Sie geht zum Papierkorb, holt die Schnipsel heraus - die, die sie findet - und setzt sie zusammen. Auch den Fettfleck klebt sie wieder an. Dann fotokopiert sie das Entstandene. Sie fotokopiert es schwarz-weiss, dann hängt sie es an die Wand. Sie steht davor, betrachtet es. Jetzt ist es ein Bild, denkt sie, immerhin ein Bild.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Freitag, 23. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Fútbol es un baile

(für F.B.**)

Er läuft nicht mit dem Fuss, viel mehr scheint er mit ihm zu tanzen, oft ein Stück vor dem schwarz-weiss gekleideten Tanzpartner, dann berührt er ihn wieder kurz - ein-,
zweimal -, um dann wieder über die grüne Tanzfläche zu gleiten, zwirbeln, wirbeln. Er springt in die Luft, sich um die eigene Achse windend, als würde er fliegen, ohne Flügel fliegen. Zurück auf dem Grün, angezogen durch die Kräfte der Gravitation, springt er gleich noch zweimal in die Höhe und wird dann sachte von seinem Tanzpartner in eine Richtung gedrängt. Zusammen schlängeln sie sich um Hindernisse. Dann ein Stoss, ein gezielter Stoss. Knapp über dem Boden wird er einem anderen Tanzpartner übergeben. Er schmiegt sich an ihn, um gleitet ihn fast zärtlich, lässt sich von ihm führen - immer näher dem Ziel, immer näher. Jetzt! Er fliegt in einem eleganten Bogen, vorbei an staunenden Gesichtern, streift ein Haarbüschel, doch nur das Netz vermag seinen Flug aufzuhalten, seinen Tanz zu beenden.
Tor, Tor, Tooor! (Ach Scheisse! für den Gegner...)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

**
Fuss Ball

Montag, 19. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Von Zahlen und Namen

Sag mir nicht, wann du Geburtstag hast. Ich will es nicht wissen! Nein, natürlich mag ich dich! Ich... Nein, deine Telefonnummer will ich auch nicht aufschreiben. Ich schreibe lieber deine Adresse auf, vielleicht einfach ohne Hausnummer, wenn es dich nicht stört - oder du kannst die Telefonnummer selber in mein Handy eintippen und gleich unter deinem Namen speichern. Ich rufe dich an - bestimmt! Ich will auch nicht wissen, wie spät es gerade ist, geschweige denn, welchen Tag wir heute haben. Ich habe dich heute getroffen. Heute, jetzt - das reicht vollkommen, und deinen Namen, den würde ich gerne erfahren. Wie viele Geschwister du hast und wie alt die sind, nein, das will ich auch nicht wissen. Nicht, dass es mich nicht interessieren würde, aber sag mir lieber wie sie alle heissen. Die Namen kann ich wieder vergessen, wenn nicht heute, dann morgen. Auch wenn sich dein Name nicht in mein Herz einbrennen wird, die Zahlen werden es tun. Sie werden sich in mein Gehirn einbrennen, wie sich eine hässliche Farbtätowierung in die Haut einbrennt und vernarbt. Ich werde sie loswerden wollen - wie alle diese Scheisszahlen in meinem Kopf! 10.10.2000, 31.7.1997, 14.9.2001, 28.6.1984, 26.5.1995, 5.5.2006, 7.4.2008, 9.7.1994 und dann noch dieser blöde 7.7, 19.1.1980, 9.6.1980, 20.7.1927, 24.12.1976, 1.9.1981, 20.4.1979, 6.6.1979, 6.11.1978, 19.9.1953, 3.12.1951, 15.1.1980, 11.7.1981, 21.9.1979, 437846143747454371309.... Die Zahlen im Kopf - Zahlen in Farbe - wollen nicht weg. Sie verfolgen mich schon mein ganzes Leben. Telefonnummern von Freunden, Telefonnummern von Freunden, die umgezogen sind, Geburtsdaten von Freunden, Geburtsdaten von Freunden, die nicht mehr Freunde sind, Hausnummern, Autonummern, Daten, Zahlen, sinnlos... Mein Erstes Mal, mein erster Kuss, die Reisedaten nach Kuba, Costa Rica, in die Türkei und zurück, Geburtstage und noch mal Geburtstage. Alles vergangen, alles egal... Die Zahlen bleiben unlöschbar in meinem Gehirn abgespeichert - und ausserdem noch in Farbe. Rote Zahlen, gelbe Zahlen, Zahlen in Grün, Zahlen in Rosarot... Manche Zahlen sind nur noch Zahlen. Sie sind zwar farbig, haben aber während der Jahre in meinem Kopf die Zuordnung zu ihrem Ereignis verloren. Sie schwirren und irren durch die endlosen Bahnen meiner Gehirnwindungen, treffen auf bekannte, ereignisreiche und somit stolze Zahlen und wissen selber nicht mehr, wer sie sind. Trotzdem sind sie nicht bereit zu gehen. Sie irren weiter, und immer, wenn sie auf Zahlenkombinationen treffen, die ihnen ähneln, schreien sie. Sie schreien, sie seien auch noch da. Sie seien obdachlose Zahlen. Sie seien verloren gegangen, gefangen in meinem Kopf, und sie suchen nach Erinnerungsfetzen oder nach neuen Ereignissen und Bedeutungen, denen man sie zuordnen könnte. Schwachsinn, sage ich. Wie will 22.5.1986 mit einer neuen Bedeutung ausgestattet werden...? Verschwinden sollt ihr! Also, bitte, versuch mich zu verstehen. Keine neuen Zahlen! Auf keinen Fall! Ich will nicht die Schwiegertochter deiner Mutter werden. Sie darf mich ruhig hassen, dass ich ihren Geburtstag nie wissen werde. Ich will ihn nicht wissen! Ich kann sowieso nicht backen, und Weihnachten gibt es ja auch noch - egal, ob du am 24. oder 25.12 Weihnachten feierst, daran werde ich denken. Ich kann Pralinées kaufen, für 14,80 beim feinen Beck um die Ecke. Verrat mir bloss deinen Namen. Ich werde versuchen, mir den zu merken - bis morgen - und ich werde ihn eingeben in mein Handy. Das wird deine Nummer wählen. Ich werde mich melden - bestimmt. Dein Name wird sich aber nicht in mein Herz brennen - also bitte keine Zahlen, keine Zahlen mehr...
Rolf...? Und dein Vater heisst auch Rolf? Ja, das kann ich mir merken, denke ich...
(siehe auch: "Für alle Rölfe", einen Beitrag auf diesem Blog vom 5.11.2008 und siehe Synästhesie: http://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie, http://www.neon.de/kat/politik/denksysteme/1073143615/521.html)


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Dienstag, 13. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Ingwertee und Honig

Die Landschaft prescht an mir vorbei. Hügel, Häuser, Wälder, Dörfer, Hügel, Dörfer, Felder, Wälder, Schnee, Häuser, Hügel - grau in grau. Ich sitze auf einem meerblauen Sitz mit rotorangem Muster. Neben dem Fenster hängen Vorhänge, die sich der Fahrtbewegung immer etwas verspätet anschmiegen. Sie sind auch rotorange - ein anderes Rotorange, als das des Musters auf dem meerblauen Sitz. Ich sitze in Fahrtrichtung und schaue aus dem Fenster, grau in grau. Noch bin ich so nah an der Schweiz und doch ist alles schon so flach. Mir fehlen schon die Berge, die weissen Berge, denke ich. Noch bin ich so nah an der Schweiz, aber es öffnet sich eine Leere, es öffnet sich Raum. Vorwärts fahre ich aus der Schweiz und denke an Mani Matter - Ir Iisebahn sitze die einte eso, dass si alles, was chunnt scho zum vorus gseh cho und dr Rügge zuechehre der Richtig vo wo dr Zug chunnt...
Es riecht nach Kuba im Eingang der Wohnung. Es muss das Heizöl sein. Es ist kalt. Der Tee ist warm und schmeckt nach Ingwer und Honig. Ich höre Gesang aus dem Badezimmer - Töne, die sich überschlagen, an den hohen Wänden abprallen und sich in einander vermischen, wie Wasserfarben auf nassem Papier. Nass in nass, kalt in kalt, Ingwer und Honig. Der Tee ist warm. Die Bewegungen der Tanzenden sind langsam, sehr langsam, als würde man einen Film in Zeitlupentempo abspielen. Ein Tanz um eine imaginäre Mitte. Ein Tanz ohne Musik, nur der Gesang, der durch die dünnen Wände aus der Dusche in den Tanzraum dringt. Ich lege mich auf den Boden und fange die tanzenden Körper mit der Kamera ein. Meine eigenen Bewegungen haben sich an ihren Rhythmus angepasst - Zeitlupentempo, Kälte und warmer Ingwertee. Die Probe wird beendet mit Atemübungen. Einatmen, ausatmen auf S, nicht mehr einatmen bis der Körper nach Luft zu schreien beginnt. ssssssssss - wie bei einem Orgasmus stöhnen ihre Körper unkontrolliert auf - eine Erleichterung. Ich trinke den Tee aus und betrachte die Bilder auf dem Display. Der Gesang ist verstummt, als wäre er eigens für den Tanz gesungen worden. Nur noch das Plätschern der heissen Dusche durchbricht die Stille. Die Nikon ist glücklich über die fremden Bilder, die sie festhalten durfte - wie ein Hund, der zum ersten Mal am Meer Gassi geführt wird. Sie lacht die dezenten Farben, die kontrollierten Körper in meine Augen. Sie erzählt mir ein Märchen, das ich noch nie gehört habe. Die Nikon will auch noch die Stadt nach Bildern absuchen, sagt sie. Ich gebe ihrem Bitten nach und begleite sie. Sie sucht, sie sucht und schreit, wenn sie ein Bild sieht, das sie einfrieren will. Sie schreit aus der Tasche, bis ich sie auspacke und ihr den Wunsch erfülle. Mit klammen Fingern drücke ich den Auslöser. Kliklack lacht die Nikon. Zusammen streifen wir durch die eisige Kälte. Die Bise durchdringt alle Stoffe und berührt meine Knochen - und den Akku der Nikon. Sie gibt auf, die Nikon. Sie will nicht mehr. Sie will keine Bilder mehr einfrieren, weil sie selber friert, bis auf ihr Herz, ihr Akkuherz. Nun stehe ich da, alleine in der grauen Stadt und fühle mich verlassen - von allen guten Geistern verlassen (auch die Lumix ist am Ende ihrer Kräfte. Die Speicherkarte ist voll). Kino? Tee? Ausstellung? Coiffeur, beschliesse ich. Ich lege meinen Kopf in die Hände der Französin. Sie massiert meine Kopfhaut. Ich schliesse die Augen, weil grelles Neonlicht in auf meine Netzhaut brennt. Ich schaue den farbigen Punkten zu, die hinter meinen Lidern tanzen. Die Massage ist gut. Sie spricht wenig, die Französin. Comme-ça, c'est bon - ouioui... Sie rupft und zieht an meinen Haaren, aber immerhin redet sie kaum. Das ist gut, die Frisur etwas weniger - etwas verschnippelt. Wie Stacheln eines Igels stehen die Haare von meinem Kopf ab. Ich schaue in den Spiegel und erschrecke ein bisschen. Ich denke an Mani Matter. Hundert Igel schauen mich an, und wenn ich den Mund öffne - ouioui - ein ganzer Igelchor. Doch noch Tee in einem "Salon de Thé". Alte und junge Leute sitzen vereint an den runden Tischchen. Alle trinken Tee, um die kalten Hände an den Tassen aufzuwärmen, um die Seelen am heissen Getränkt zu erwärmen. Es ist voll, voll Töne und Menschen. Ich setze mich zu einem alten Mann. Eine Zeitung und ein Beret liegen auf dem Tisch vor ihm. Eine Tasse dampft vor sich hin. Er schaut von seinem Buch auf, nickt mir zu. Ich bestelle einen Tee mit Zimt und Honig. Ich reibe das Akkuherz. Die Nikon lässt sich erweichen und zeigt mir die eingefrorenen Momente der lebendigen Stadt. Der Mann beobachtet mich verstohlen über den Rand seines Buches. Ich schlürfe das heisse, süsse Getränk. "Henri Michaux" steht auf dem Buch. Der Mann legt es weg. C'est bon - ouioui... Er wurde in Deutschland geboren. Er heisst Max. Er ist Künstler, Maler und lebt hier seit über 40 Jahren. Er mag die Cafés. Er mag lesen und Menschen beobachten. Die Kälte mag er nicht so. Im Winter hat es so viele Leute in seinen Cafés. Er packt ein kleines Buch aus seiner hellbraunen Ledertasche, kramt nach einem Kugelschreiber, schreibt etwas in das Buch, legt es hin, bezahlt und steht auf. Ich greife nach dem Buch und will es ihm hinstrecken. Er macht mit dem Kopf eine Nickbewegung in meine Richtung, sagt es gehört jetzt Ihnen und geht. "In der Gesellschaft der Ungeheuer, ausgewählte Dichtungen. Henri Michaux." Merci, denke ich und blicke zur Tür, die schon wieder geschlossen ist. Für Regine von Max, steht auf der Rückseite des Umschlags. Merci, denke ich. Ich gehe zurück in das Zimmer. Es riecht nach Kuba. Ich lade den Akku auf und koche einen Tee. Es riecht nach Kuba, und ich trinke Ingwertee - Ingwertee mit Honig. Mein Körper wird warm, das Akkuherz lädt sich wieder auf, und die Frisur ist mit viel Wachs - und Ingwertee - auch nicht mehr so schlimm.
Die Rückfahrt geht rückwärts. Mit dem Rücken zur Schweiz fahre ich wieder zurück in den Schnee, zurück zu meinen Bergen. Ich denke an Mani Matter - di andere, die sitze ir Bank vis-à-vis, dass si lang no chöi gseh, wo der Zug scho isch gsi und dr Rügge zuechehre der Richtig wohi der Zug fahrt...
Grau in grau geht's rückwärts nach Hause - grau in grau und Ingwertee in einer Thermosflasche.


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Samstag, 10. Januar 2009

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

...nur einer schaut zurück



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Hommage an Man Ray





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Un Lion à Lyon

Parce que je ne suis pas un lion qui vit dans le zoo de Sion, je pars. Je pars pour Lyon où on lit dans le lit sans le lion de Sion. Je ne pars pas pour Varsovie, pas pour paradis, mais je pars pour dieu, pour Part-Dieu car c’est la gare, loin de la Loire, mais entre le Rhône et le Saône. C’est un lieu de dieu, je pense. Un lieu de dieu à Lyon où on dormit dans un lit de Vivi parce que Vivi vit là-bas avec des chats et un lion qui s’appelle Léo.
Je dis merci pour le lit, pour les jours sans penser à l’amour, pour le souvenir à trois jours et nuits jolis.
A la prochaine fois – peut-être cette fois chez moi!


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Samstag, 3. Januar 2009

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Somethings never change

Meine Grossmutter sagt: "Hesch gseh, ds Chüuchli?" Das "Chüuchli" hängt immer auf der linken Seite des Christbaums, etwa auf der Höhe meiner Schultern. Wie könnte ich das "Chüuchli" nicht sehen. Ich sehe nur das "Chüuchli" und warte auf die Frage "Hesch gseh, ds Chüuchli?" Bevor ich das Haus meiner Eltern betrete, bevor ich meine Grossmutter begrüsse, warte ich auf die Frage, die immer kommt - sonst wäre nicht Weihnachten. Meine Grossmutter wohnt nicht mehr zu Hause. Sie dekoriert den Tannenbaum nicht mehr selber. Meine Eltern haben nie einen Tannenbaum gekauft. Wir haben früher einen Baum im Garten geschmückt, mit Silberfäden und weissen Kerzen. Aber seit meine Grossmutter in einem Alterswohnheim lebt, kaufen sie einen Baum und hängen das "Chüuchli" auf die linke Seite, etwa auf die Höhe meiner Schultern. Und meine Grossmutter sieht das "Chüuchli", bevor sie es suchen kann, und die Frage ist gestellt, bevor sie jemand denken kann. Meine Geschenke liegen auf der linken Seite, die meiner Schwester auf der rechten Seite. Das war immer so. Einmal war es anders und alle waren verwirrt. Wir bekommen jedes Jahr Hauchdünn geschenkt, meine Schwester und ich - die braunen crèmigen Hauchdünn. Jedes Jahr sagen wir, wir mögen die schwarzen lieber. Aber jedes Jahr liegen wieder die braunen crèmigen auf der rechten und der linken Seite des Baumes, und wenn ich sie sehe, freue ich mich darauf, dass meine Schwester sagt, dass sie die schwarzen lieber mag. Und es gibt Pommeschips zum Nachtessen, Paprikachips zum Weihnachtsessen. Das war immer so, sonst wäre nicht Weihnachten. Die Grossmutter Mutterseits schenkt meinem Vater Wein, Rotwein und selber gemachte "Brätzeli". Sie sortiert ihm extra die dunklen in eine Blechdose, die mit Schneeflocken verziert ist und sagt: "Hesch gseh, i ha dir äxtra die dunkle usegsuecht, wüu du die am liebschte hesch, gäu!" "I ha lieber die häue, nid die dunkle." antwortet mein Vater, und ich freue mich darüber und sage, dass ich die dunklen lieber mag und esse sie alle auf. "U du, wie läbsch?" Fragt die "Chüuchli"-Grossmutter. "U du, wie läbsch?" fragt sie am selben Abend immer wieder - wie läbsch, wie läbsch, wie läbsch... klingt es wie ein Echo in meinen Ohren weiter. Das Echo klingt in meinen Ohren bevor der Satz das Echo auslösen kann. Ich höre das Echo meiner Gedanken, schon bevor ich mir die Gedanken machen kann u mi Schatte isch afa schneuer als ig, i ma ihm fasch nüm nache... Somethings never change, never change, never change, never change... Sonst wäre nicht Weihnachten. "Es guets Nöis u blib wide bisch!" - sonst wäre nicht Neujahr. I bi scho morn nüm glich wi hüt, dass wissen wir alle (zumindest alle Berner), und trotzdem sagen wir die Sätze, die wir sagen müssen, besonders während der Tage im Dezember: "Machs guet u häb Sorg", und es tönen Lieder in meinen Ohren, als würden tausend Weihnachts- und Silvesterglöcklein gleichzeitig läuten. "Es guet Nöis, dass au dini Wünsch u Tröim i erfüllig gö im nöie Jahr!" Im 2009 werden sie alle in Erfüllung gehen, alle meine Wünsche und Träume. Ich habe noch immer bekommen, was ich wollte - nur leider weiss ich nicht, was ich will... Vielleicht ein Schloss? Einen Winterschlaf oder e Grossbrand i mis Härz? Oder ich könnte mir ein Kind wünschen. Frauen kriegen Kinder. Sie machen den Haushalt und die Männer verdienen Geld. Das auch war immer so, sonst wären wir nicht da, wo wir sind. Sie sind Jäger und Fischer. Sie jagen das Geld und manchmal jagen sie auch Tiere - oft Katzen, manchmal auch Kater. Die Frauen sind Sammler. Sie sammeln das Essen mit orangen Körben in den orangen Supermärkten (siehe auch: http://vonfeltenwelten.blogspot.com/2008/11/von-felten-welten-productions_2030.html Beitrag auf diesem Blog). Sie sammeln Schuhe und Taschen. Sie sammeln Staub mit einem Staubwedler ein, und sie sammeln Trophäen "Hesch guet kochet. Hesch suber putzt. Hesch es schöns Chind, wunderschön. Es glichet dir u dim schöne Ma." Und wir sind emanzipiert. Eine richtig emanzipierte Gesellschaft, viel emanzipierter als die im Osten (oder wo wohnen die Terroristen, die ihre Frauen Kopftücher tragen lassen?). Hier lässt man die Frau selber merken, dass sie viel besser Hemden bügeln und gut putzen kann (viel besser als die Männer! Die machen nie richtig sauber. Da putzt Frau besser selber und lässt den Mann das Geld heimbringen. Das kann er dafür besser, mhm). Ich glaube, ich wünsche mir für's 2009 ein Kind, einen Mann und eine Katze (nur bitte keinen Kater, dann schon lieber e Moudi oder einfach einen Hasen, aber wenn möglich einen stillen), und ich wünsche mir ein Haus am See mit em ne Bänkli vor der Türe und vielleicht noch ein bisschen Geld, damit d Zyt u ds Glück nümme a mir verby zieh. Das ist mein allerliebstes Feindbild, das ich da noch einmal aus dem Keller hole und putzte, bis es wieder so glänzt. Nume Bire wärde so riff... Ich glaube, ich wünsche mir doch lieber eine Reise irgendwohin, wo es warm ist (ans Kap der Guten Hoffnung oder in den Osten). Das passt irgendwie besser zu mir, und ich soll ja schliesslich so bleiben, wie ich bin, hat man mir gesagt. Ich bin noch nie ab Bälpmoos geflogen. Ich könnte mal nachschauen, ob es günstige Flüge gibt von da. Ich würde gerne durch Sizilein reisen und dann mit einer Fähre auf irgendeine schöne Griechische Insel fahren, und Kreta tönt doch besser als Heimberg... Und in einem Jahr gibt es dann wieder Pommeschips zu Weihnachten, Hauchdünn und dunkle "Brätzeli". Das "Chüuchli" hängt wieder auf der linken Seite des Christbaums auf der Höhe meiner Schultern und dann wieder "es guets Nöis!". Merci, und ich hole wieder mein allerliebstes Feindbild aus dem Keller und singe ein Lied, das so endet wie es anfängt. Somethings never change und freue mich darüber (oder nicht?)


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Sonntag, 21. Dezember 2008

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Der Geschichtensammler

Er hat schwarze Haare, die bis über seine Schultern reichen, schwarze Rastas - wahrscheinlich hat es auch schon ein paar graue darunter. Seine Haut ist kaffeebraun, die Nase hat die Form eines Pfelilbogens. Er steht alleine an die Wand gelehnt im Café Mokka. Er steht da, alleine seit ich das erste Mal das Mokka betreten habe. Er trägt ein schwarzes Hemd, immer. Sein Alter ist schwer einzuschätzen. Vielleicht ist er 40, vielleicht 50, vielleicht auch älter (oder jünger?)... Aber egal wie alt er ist, so alt war er immer.
Ich betrete das Mokka. Er ist da. Er steht da. Er schaut. Er lacht. Er lächelt. Manchmal bewegen sich seine Lippen. Worte hört man keine. Es ist zu laut. Er raucht. Er beobachtet. Er trinkt etwas und schaut dem Treiben zu. Wie er wohl seine Beobachtungsopfer auswählt? Wenn sie lachen, lacht er mit, für sich alleine. Wenn sie sich streiten, schaut er traurig zu. Ich habe ihn noch nie mit jemandem reden sehen. Ich habe ihn noch nie an einem anderen Ort angetroffen, als in seinen zwei Plätzen im Mokka, Plätze, von denen man zum Eingang sieht. Unscheinbar, als wäre er nicht vorhanden, saugt er die Umgebung in sich auf und verwandelt das Erlebte im Innern in seine eigenen Geschichten. All die Momente der Mokka-Besucher werden zu seinen Momenten, werden zu seiner Geschichte.
Am Samstag war ich alleine im Mokka. Das habe ich früher oft gemacht. Ich bin einfach alleine losgezogen und bin ins Mokka gegangen. Irgendjemanden habe ich da immer getroffen. Am Samstag habe ich das auch wieder einmal gemacht. Ich habe aber niemanden gekannt, niemanden erkannt - ausser ihn. Ich habe ihn gegrüsst. Warum habe ich ihn vorher nie gegrüsst, den Beobachter, den Geschichtensammler in der Ecke? Er hat zurück gegrüsst und gelächelt. Er hat mich erkannt. Er kennt wahrscheinlich alle, die im Mokka ein- und ausgehen. Er kennt die Gesichter. Er kennt viele Geschichten. Er erzählt sie nie, nur sich selber. Er beobachtet, als wäre er Big Brother.
Ich habe mich an die weisse Wand gelehnt - die weisse Wand, die ich am Abend oder am nächsten Tag von der Kleidung wasche, aus dem Halstuch klopfe. Ich habe etwas zu Trinken bestellt und zugeschaut. Ich habe ihm zugeschaut, wie er anderen zuschaut, und ich bin seinem Blick gefolgt: Ein Pärchen, vielleicht 18. Sie war klein. Ihr blondes Haar hatte sie zu einer komplizierten Frisur gesteckt. Sie trug ein rotes Träger-Shirt und Bluejeans. Er war fast einen Kopf grösser als sie. Sein weites T-Shirt hing unförmig über seine Baggyjeans, versteckte aber nicht seine muskulösen Oberarme. Beide hatten ein Bier in der Hand, sie ein Vollmond, er ein grosses Boxer. Sie haben zusammen getanzt, sich verliebt angeschaut und gelacht. Er hat sie im Kreis herum gewirbelt. Die sind bestimmt noch nicht so lange zusammen, so verliebt, wie die einander angucken, habe ich gedacht. Ob sie noch zur Schule gehen? Wahrscheinlich haben sie sich auf dem Gymnasium oder in der Berufsschule kennen gelernt. Sie könnte Friseuse sein, der aufwändigen und perfekten Steckfrisur nach zu urteilen, und er ist wahrscheinlich Schreiner oder Maurer. Auf jeden Fall wird er einen handwerklichen Beruf ausüben, so kräftig wie er gebaut ist. Oder er arbeitet im Büro und treibt sonst viel Sport, aber dann würde er wahrscheinlich nicht so viel Bier trinken. Sie tanzten, sie torkelten ein bisschen. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie schaute auf die Flasche in ihrer Hand, setzte sie an, nahm einen kräftigen Schluck und streckte ihm die leere Flasche hin. Er nahm sie, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwand um die Ecke. Einen Kuss auf die Stirn! Das ist süss, habe ich gedacht und bin ein bisschen erschrocken, wie schnell ich in eine fremde Geschichte eingetaucht bin. Ich habe mich zum Geschichtensammler gedreht. Er stand immer noch da, schaute zum blonden Mädchen und lächelte zufrieden vor sich hin. Dann wanderten seine Augen wieder durch die Menge, wahrscheinlich auf der Suche nach einer neuen Geschichte. Dabei kreuzten sich unsere Blicke erneut.
Wer er wohl ist? Wo er wohl herkommt? Was er arbeitet? Vielleicht kommt er aus Tunesien. Er ist vor vielen Jahren in die Schweiz gekommen, aber weil er so schüchtern ist, hat er fast niemanden kennen gelernt und somit auch die Deutsche Sprache nie wirklich gelernt. Aber er ist ohnehin nicht hierher gekommen, weil er Menschen kennen lernen wollte. Ausserdem mag er den Klang einer unverständlichen Sprache, und er mag beobachten und dazu seine eigene Geschichte erfinden. Er ist Dichter oder Schriftsteller. Er geht ins Mokka und lässt sich von den Menschen und ihrem Treiben inspirieren. Er sammelt ihre Geschichten und schreibt zu Hause Bücher auf Französisch oder Arabisch. In seinem Heimatland Tunesien ist er berühmt. Alle verschlingen seine Geschichten und warten schon nach dem Erscheinen seines neusten Werkes wieder auf das nächste. Seine Bücher heissen Zwischen Vollmond und Sonnenaufgang (mit Vollmond meint er natürlich das Bier, aber es ist auch ein wunderbares Wortspiel, findet er) und Boxer (damit meint er das andere Bier und spielt damit auf den Faust von Johann Wolfgang Goethe an. Er scheint Wortspiele zu mögen! Seinerzeit, als er sich entschieden hat, Tunesien zu verlassen, hat er sich auch nicht zuletzt wegen seiner Liebe für Wortspiele für Thun entschieden. Der Klang des Namens hat ihn an die Hauptstadt seines Heimatlandes erinnert, was er lustig fand. Ursprünglich wollte er nämlich nach Zürich gehen - die einzige Stadt, die er in der Schweiz gekannt hat... Er hatte schon gepackt und war auf Wohnungssuche, dann hörte er von einer Stadt, namens Thun. Heute ist er aber froh, hier gelandet zu sein. Er war einmal in Zürich - viel zu gross, viel zu laut, und er hatte irgendwie immer das Gefühl, dass Züri brännt... Warum, weiss er selber nicht...). Er lebt in einer bescheidenen Wohnung. Sie hat nur zwei Zimmer. In einem Zimmer steht ein Bett und an Stelle eines Nachttischchens hat er einige Bücher aufeinander gestapelt. Darauf steht ein dreiarmiger, mit verschiedenfarbigem Wachs übertropfter Kerzenständer, ein Geschenk seiner grossen Liebe - das Einzige, was er aus seinem Heimatland mit nach Thun genommen hat. Drei rote Kerzen stehen darin und daneben liegt eine Zündholzschachtel mit einem Bild der Luzerner Kappelbrücke, ein Zettel und ein Kugelschreiber mit der Aufschrift Swisscom. Im anderen Zimmer stehen ein Tisch und ein Stuhl. Auf dem Stuhl liegen ein hellblaues, abgewetztes Kissen und auf dem Tisch steht eine kleine Lampe, viele weisse und auch beschriebene Blätter, Kugelschreiber und Bücher. Also eigentlich ist nicht nur der Tisch voller Bücher und Blätter, das ganze Zimmer ist überstellt davon. Ich glaube, nicht einmal der Geschichtensammler selber weiss, ob unter den Büchern und Papieren Parkett- oder Teppichboden versteckt ist. Und auch die Wand ist voll gehängt mit Papierstücken voller Kritzeleien und Notizen auf Französisch, Arabisch und einige Worte auf Deutsch - wahrscheinlich seine Ideen. Er hat keinen Fernseher, keinen Computer. In der kleinen Küche steht ein schwarzer Radio mit einer langen Antenne auf dem Kühlschrank, und neben der Eingangstür hängt ein schwarzes Telefon auf einer silbernen Gabel - die einzigen technischen Apparate, die er besitzt. Er ist ein Nostalgiker, deshalb auch das alte Telefon, mit dem er manchmal seine Familie anruft oder mit dem Verlag in Tunis telefoniert.
Wenn er gegen Morgen von seinen Sammeltouren aus dem Mokka nach Hause kommt, trinkt er einen Kaffee, den er sich auf dem Heimweg am Bahnhofbuffet holt, und legt sich dann für einige Stunden aufs Ohr. Er schläft aber nie sehr lange. Er will schreiben. Er kann am besten am Morgen schreiben und seine Wohnung ist ohnehin ziemlich lärmig am Vormittag, weil sich unter ihr eine Bäckerei befindet, die sieben Tage die Woche geöffnet hat. Manchmal verlässt er tagelang seine Wohnung nicht. Er schreibt und schreibt und schreibt. Er vergisst dabei sogar zu essen. Zum Glück hat er eine aufmerksame Nachbarin. Eine alte Dame, der er einmal zwei Koffer in den zweiten Stock geschleppt hat, als er sie im Eingang angetroffen hat. Seit dem mag sie den Geschichtensammler, ausserdem ist er ruhig. Sie hört nie ein Geräusch aus der Wohnung unter ihr, ausser manchmal das Plätschern des Wassers, wenn er duscht. Wenn sie ihn länger nicht mehr antrifft, geht sie manchmal klingeln und bringt ihm einen Berliner oder einen Nussgipfel aus der Bäckerei mit. Er dankt es ihr mit einem freundlichen Lächeln und revanchiert sich dann seinerseits wieder mit Taschen schleppen, wenn er die Dame nach einem Einkauf im Treppenhaus antrifft. Eine wortlose Freundschaft ist mittlerweile zwischen den beiden entstanden.
Im Moment lebt er wieder einmal sehr zurückgezogen. Es ist Weihnachtszeit, und das Mokka ist bis am 26. Dezember geschlossen. Er hat sich mit einigen Packungen Reis und gefrorenem Hammelfleisch eingedeckt. Ausserdem hat ihm die nette alte Dame selbstgemachtes Weihnachtsgebäck vor die Türe gestellt. Er nutzt die Zeit, um an seiner neusten Idee zu schreiben, einem Roman über ein junges Paar, das sich im Mokka (wie könnte es anders sein...) kennen gelernt hat, als sich zwei ihrer Freunde wegen einer Bagatelle blutig geschlagen haben. Eine absurde Geschichte über Gewalt, die eine junge Liebe entflammen lässt. Einen Titel hat er noch keinen. Die Titel findet er normalerweise in seinen Träumen, aber erst wenn er ein Werk zu Ende geschrieben hat. Er träumt etwas, woran er sich später nicht mehr erinnern kann und wacht dann auf, mit einem Satz oder einem Wort im Kopf. Diese schreibt er noch im Halbschlaf auf den Zettel auf seinem Nachttisch aus Büchern und fällt dann einen traumlosen Schlaf, der dann ohne Weiteres bis nach dem Mittag dauern kann. Wenn er also aufschreckt und erstaunt feststellt, dass es schon Nachmittag ist, blickt er sogleich auf den Büchernachttisch neben dem Bett und findet da den Titel seines neusten Buches in seiner Handschrift - und erstaunlicherweise immer auf Deutsch - auf dem Zettel geschrieben.
Er geht nur noch selten nach Tunesien (ab und zu besucht er seine Familie in einem abgelegenen Dorf an der Grenze zur Sahara), nicht des Geldes wegen - davon hätte er genug, weil er ja ein erfolgreicher Geschichtenschreiber ist - aber er mag es nicht, erkannt zu werden. Er will keinen Ruhm, und den Rummel um seine Person mag er auch nicht sonderlich. Er mag es einfach, Geschichten zu erzählen, und er mag die Einsamkeit. Deshalb bleibt er in Thun, wo ihn niemand kennt, und sammelt weiter Geschichten.
Dass mein Glas leer war, bemerkte ich erst, als ein Eiswürfel gegen meine Zähne klatschte. Ich schaute mich um: Immer noch niemand da, den ich kannte - ausser dem jungen Pärchen und dem Geschichtensammler. Das Pärchen war wieder am tanzen, sie mit einem halbvollen Vollmond in der linken Hand und er mit einem Boxer. Der Geschichtensammler stand in seiner Ecke an die Wand gelehnt, eine Zigarette in der Hand und ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. Ich habe meine Jacke genommen, habe versucht so gut es ging, die weisse Farbe aus dem Stoff zu klopfen. Im Gehen habe ich ihm zugenickt. Ich weiss nicht, ob er mich noch bemerkt hat, wahrscheinlich war er zu sehr vertieft ins Sammeln von Geschichten für seinen neusten Roman.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Von Felten Welten-Productions* präsentiert

Liebe Ente

Die gelbe Badeente schaut mich vorwurfsvoll an. Jede Woche, wenn ich das Badezimmer putze, schaut sie vorwurfsvoller (was für ein wunderschönes Wort - vorwurfsvoller - fast so schön wie neue Schuhe!). Also die Ente, sie schaut jede Woche vorwurfsvoller. Ich habe ihr schon vor Monaten versprochen, ihren Bruder (oder ist es die Schwester?) bei meinen Eltern auf dem Estrich zu suchen. Normalerweise versuche ich meine Versprechen zu halten. Aus einem mir selber unerklärlichen Grund fällt es mir aber schwer, schon wieder auf den Estrich zu gehen um zu suchen, nach der anderen gelben Ente zu suchen. Es ist nicht der Estrich, der mich davon abhält. Ich mag den Estrich. Er ist voller kleiner Gegenstände, kleine Erinnerungsgegenstände. Es ist also nicht der Estrich. Es ist das Suchen. Ich suche in letzter Zeit wieder ziemlich oft. Das habe ich ja kürzlich schon erwähnt. Ich suche nach Gegenständen (eine verlorene schwarze Instantkamera mit silbernem Schriftzug, den zweiten Ohrring, ein Geschenk für meine Grossmutter zu Weihnachten, ab und zu den Hausschlüssel) Ich suche nach Erklärungen und manchmal nach Ausreden. Ich suche nach Worten und oft nach Entscheidungen. Jetzt kann natürlich jemand ganz weise behaupten, das ganze Leben sei eine Suche. Aber manchmal habe ich das Suchen einfach satt. Egal, ob das Leben aus Suchen besteht: Wie wäre es zur Abwechslung mit Finden? Natürlich, ich finde jeden Tag etwas. Ich finde eine Beschäftigung. Ich finde Staub in meiner Wohnung (der sammelt sich meist unter dem roten Sofa im Eingangsgang. Eingangsgang? Ein Eingang ist ja schon ein Gang, aber es gibt Eingangshallen und mein Eingang ist ein schmaler Gang, ein schmaler Gang im Eingang, also ein Eingangsgang). Ich finde Worte, die ich nicht gesucht habe, aber auch nicht finden wollte (eigene und fremde). Ich finde Ausreden (natürlich nicht meine, sondern fremde. Die eigenen suche ich ja...) und ich finde verfaulte Orangen in meinem Kühlschrank (das ich diese nicht finden will, müsste jedem klar sein). Aber ich finde kein Geld und ich finde vor allem keine Entscheidungen. Alles, was ich suche, finde ich nicht und was ich finde, suchte ich nicht. Ich heisse aber nicht Hans und wohne auch nicht im Schneckenloch - oder doch...? Ich weiss gar nicht, was ein Schneckenloch ist... Google sucht und Google findet auch... Google findet Wikipedia: Die Schneckenlochhöhle, auch Schneckenloch, ist eine große Karsthöhle bei Schönenbach im österreichischen Bundesland Vorarlberg. Ob das die besagte Hans-Höhle ist? Aber Hans heisse ich nicht. Ich hätte Roland geheissen, wäre ich mit Penis zur Welt gekommen. Roland... Zum Glück - für einmal - habe ich keinen Penis. Ich mag den Namen Roland nicht. Ich entschuldige mich bei allen Rolands, Roländer, Rolanden, aber Roland klingt in meinen Ohren nach Rollmops, wie jtz tüet dir da di Rölleli dra u löts eifach la loufe. Eifach la fahre... u när Znüni nä....
Wenn ich die gelbe Ente suchen würde, hätte ich wahrscheinlich Erfolg, weil ich sie mit grosser Sicherheit finden würde. Ich würde finden, was ich suche. Wahrscheinlich suche ich nicht, weil ich gar nicht finden will oder ich finde nicht, weil ich nicht suche. Ich glaube nur zu suchen und singe in Wirklichkeit nur immer wider das Lied vom Hans....
Liebe Ente, ich werde meine Eltern noch einmal fragen, ob ich nicht vielleicht doch Hans geheissen hätte, wäre ich ein Junge geworden, und wenn ich dann schon bei meinen Eltern bin, um nach einer Antwort auf meine Frage zu suchen, kann ich auch gleich die andere Ente, dein Geschwisterchen suchen - und wahrscheinlich auch finden. Und wenn nicht, also, wenn meine Eltern sagen, ich hätte Roland geheissen, dann googel ich mal, was das weibliche Pendant zu Hans ist (und Google findet fast immer, was ich suche). Vielleicht, vielleicht ist es ja Regine... und wenn auch dem nicht so ist... die Ente werde ich finden, irgendwann, wenn ich endlich anfange zu suchen! Lieber Gruss vom Hans oder so.


* Von Felten Welten-Productions: Ein Non-Profit (es ist so gekommen) und No-Art-Demand (but much fun and a little narcism) Projekt von Regine von Felten